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Portugiesischer Soziologe: Regierungskrise in Ost-Timor wurde durch ausländische Interessen ausgelöst

30. Juni 2006

Boaventura Sousa Santos, Professor an der Universität Coimbra, im Interview von DW-RADIO

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„Nachdem Ost-Timor bis vor kurzem als Modell für eine gute Regierungsführung gehandelt wurde, hat sich das Land schnell in ein Chaos verwandelt. Das ist ohne ausländischen Einfluss nicht möglich.“ Das sagte Boaventura Sousa Santos, Professor an der Universität Coimbra (Portugal) und einer der bekanntesten Soziologen in der früheren Kolonialmacht Ost-Timors, in einem Interview von DW-RADIO. Boaventura schloss nicht aus, dass es auch innenpolitische Faktoren für die Krise in dem südostasiatischen Inselstaat gebe, „aber es ist klar, dass derzeit das Ziel ist, den zurückgetretenen Ministerpräsidenten Mari Alkatiri und damit auch die Regierungspartei Fretilin zu zerstören“.

Insbesondere Australien und die USA hätten gemeinsame geostrategische Interessen, die zur aktuellen Situation beigetragen hätten, so der Soziologe. „Ich glaube, dass Australien sich hier in totaler Übereinstimmung mit den geostrategischen Interessen der USA verhält. Ich behaupte nicht, dass Australien keine eigenen Interessen vertritt, die sie sicher auch haben, was die Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen betrifft. Aber was die geopolitische Dominanz in der Region betrifft, ist klar, dass Australien als treuer Verbündeter der USA hier deren Interessen vertritt, die auf eine Eindämmung des chinesischen Einflusses in der Region zielen.“

Die Alkatiris Rücktritt vorausgegangene Drohung von Präsident Xanana Gusmão, sein Amt niederlegen zu wollen, sollte Alkatiri nicht den Posten des Ministerpräsidenten räumen, „ist in einer Demokratie ein Staatsstreich“, sagte Boaventura. Der Präsident sei „systematisch falsch“ beraten worden. Boaventura: „Man kann sich nicht vorstellen, dass Gusmão, ein Mann der für die Demokratie und Unabhängigkeit von Ost-Timor gekämpft hat, an der Spitze eines Staatsstreiches steht.“

Boaventura sieht den Friedensnobelpreisträger und früheren Außenminister Ramos Horta als „Kopf und die graue Eminenz hinter dieser ganzen Krise“. Ramos Horta, der inzwischen auch die Tagesgeschäfte von Alkatiri übernommen hat, sei schon immer „ein Mann der Australier gewesen“, der „schon immer pro-westliche Positionen vertreten habe“. Boaventura: „Ramos Horta hat eine eindeutige Position vertreten, die zum derzeitigen Chaos beigetragen hat. Dabei hat er im Blick, dass er so in Kürze als Retter des Vaterlandes auftreten kann.“
30. Juni 2006
194/06