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Nationales Desaster

8. Dezember 2009

Die Russen sind für ihre Trinkfestigkeit berühmt und noch öfter als anderswo prahlt man hier mit Trunkenheitsgeschichten. Doch Russland hat ein Problem mit dem Alkohol und das hat auch Präsident Medwedew erkannt.

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Fernschreiber Moskau (Grafik: DW)
Bild: DW

Kein Tag ohne Alkohol in Russland - zumindest in den russischen Medien. Anekdoten über Menschen im Vollrausch bringen russische Journalisten gern als bunte Meldungen in ihren Zeitungen oder Fernsehprogrammen unter. Vor ein paar Tagen berichtete "Russia Today", der englischsprachige Auslandssender Russlands, ein wenig amüsiert darüber, wie ein Mann, der wegen Alkoholsucht in geschlossener Therapie war, die Flucht ergriff, sich zurück in der Freiheit erstmal betrank und sich dann in sein Auto setzte, um als Taxifahrer Geld zu verdienen.

Außerdem sorgten in dieser Woche einige Spieler der russischen Fußball-Nationalmannschaft für Alkoholgesprächsstoff: Die hätten sich vor dem entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Slowenien, das verloren ging, betrunken, glaubt das russische Fernsehen in einer investigativen Recherche herausgefunden zu haben.

Und schon seit längerem lachen Internetnutzer aus Russland und der ganzen Welt über die Fotoserie "Yoga auf Russisch", die Betrunkene zeigen, die von Bänken hängen und im Vollrausch wundersame Verrenkungen machen, die Yoga-Positionen ähneln.

Viele der Alkoholanekdoten, die die Welt aus Russland hört, mögen amüsant sein - und viele Russen sind stolz auf ihre berühmt berüchtigte Trinkfestigkeit. Aber Tatsache ist: In Russland wird zu viel Alkohol getrunken. Das hat auch Präsident Medwedew erkannt und so ist er der erste Staatschef seit Michail Gorbatschow, der eine staatliche Anti-Alkoholismus-Kampagne begonnen hat.

18 Liter purer Alkohol jährlich

Besonders alarmiert war Medwedew durch eine Studie, die zeigte, dass pro Kopf in Russland jährlich 18 Liter purer Alkohol getrunken werden - und in diese Statistik sind theoretisch auch Säuglinge und alte Frauen einbezogen. Die Weltgesundheitsorganisation sieht schon eine Menge von neun Litern als schädigend für die Gesundheit eines Volkes an. Tatsächlich hat Russland seit Jahren nicht nur mit steigender Kriminalität und mehr Unfällen unter Alkoholeinfluss zu kämpfen, sondern auch mit einer frühen Sterblichkeit bei Männern. Durchschnittlich hat jeder Mann in Russland eine Lebenserwartung von nur 59 Jahren.

Alkoholismus sei für Russland ein nationales Desaster, fasste Medwedew zusammen. Erste Maßnahmen gibt es bereits: Bier wird zum Jahresanfang teurer, in weiten Teilen des Landes soll hochprozentiger Alkohol nicht mehr in der Nacht verkauft werden und endlich haben sich auch russische Fluglinien entschieden, an Bord keinen Alkohol auszuschenken. Außerdem wird darüber nachgedacht, die Altersgrenze für den Kauf von Alkohol von 18 auf 21 Jahre anzuheben.

Aber mit neuen Gesetzen und deren Durchsetzung ist es nicht getan. Auch an der Einstellung der Russen muss sich etwas ändern, wenn Medwedews Kampf gegen den Alkoholismus erfolgreich sein soll - und es geht nicht nur gegen den Wodka. Seit Jahren steigt vor allem bei jungen Menschen und bei Frauen der Bierkonsum. "Die meisten Russen sehen Bier nicht als Alkohol, sie glauben, dass sie es wie Wasser trinken können. Dass man auch davon zum Alkoholiker werden kann, das glaubt niemand", sagt der Moskauer Soziologe Sergej Michejew. Sicher ist: Präsident Medwedew hat einen harten Kampf vor sich.

Autorin: Mareike Aden

Redaktion: Kay-Alexander Scholz