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Prügel für Proteste gegen Korruption

Markus Reher, Moskau23. Mai 2006

Hunderte Moskauer zogen am Wochenende vor den Regierungssitz, das "Weiße Haus", und schlugen ein Zeltlager auf aus Protest gegen Betrug beim Wohnungsbau. Doch statt Aufmerksamkeit bekamen sie Prügel von der Polizei.

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"Schande" und "Nieder mit der Korruption" riefen die aufgebrachten Demonstranten. Sie fühlen sich verraten und verkauft, und sie verlangen Ihr Geld zurück, das sie beim Kauf von Wohnungen an kriminelle Baufirmen und Beamte verloren haben.

Die jüngsten Proteste gegen Betrug am Bau richteten sich gegen eine Baugenossenschaft, die sich ausgerechnet mit dem Namen „Soziale Initiative“ schmückte. Deren Chef sitzt seit Anfang des Jahres in Haft. Doch eine Entschädigung für die geprellten Anleger blieb bislang aus. Kein Einzelfall.

Knapper Wohnraum in erbärmlichen Zustand

Moskaus Wirtschaft boomt. Stadt und Region wachsen. Und Wohnraum ist knapp. Zudem befindet sich ein Großteil der bestehenden Gebäude aus Sowjetzeiten in erbärmlichen Zustand. In keiner anderen europäischen Stadt wird daher so viel und so schnell gebaut wie derzeit in Moskau. Doch allein, ganz ohne private Investoren kann die ehrgeizige Stadtregierung die Modernisierung und Erweiterung des Wohnungsangebots nicht stemmen. Und so ermutigte man auch den Durchschnittsverdiener, sich als Kleinanleger mit seinen Ersparnissen am Bauboom zu beteiligen. Baugenossenschaften versprachen lukrative, komfortable Eigentumswohnungen gegen Vorrauszahlung. Am Stadtrand, mitten auf der grünen Wiese, weit entfernt von der nächsten U-Bahnstation schossen neue Wohntürme in die Höhe, doch das schreckte die Kleininvestoren kaum. Nach Jahren der Entbehrung in sowjetischen Wohnsilos waren viele von einem besseren Leben in neuer Bleibe derart beseelt, dass sie leichtgläubig zehntausende Dollar zahlten. Allein die Firma "Soziale Initiative" soll von 2003 bis 2005 mehr als umgerechnet 500 Millionen Dollar für Wohnungen kassiert haben, die sie entweder nie baute oder gleich mehrfach verkaufte. Beamte deckten den Schwindel oder ließen ihn zumindest zu, klagen die Geschädigten.

Präsident und Regierung sollen nun Verantwortung übernehmen und endlich durchgreifen gegen Behördenwillkür und Korruption, nicht nur im Bauwesen. Der Unmut der Geschädigten stößt in der Bevölkerung auf große Sympathie und breite Zustimmung. Ihr Zeltlager vor dem „Weißen Haus“ stand durchaus in der Tradition von Kiew und Minsk als Symbol des Widerstands gegen die Staatsgewalt. Auch wenn Sondereinheiten der Polizei die Kundgebung Samstag Nacht brutal niederknüppelten, die geschröpften Wohnungskäufer gingen Anfang der Woche erneut auf die Straße und sie kündigten an, ihren Protest bis zum G8-Gipfel in St. Petersburg und vor die WTO zu tragen.