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Prag und Wien streiten nicht mehr über Temelin

17. Dezember 2001

- Österreichische Atomkraftgegner wollen sich auch weiterhin für Schließung des AKWs einsetzen

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Prag, 16.12.2001, RADIO PRAG, deutsch

Seit mehr als 10 Jahren ist die kleine südböhmische Ortschaft Temelin, die ca. 25 Kilometer nordöstlich von Ceske Budejovice (Budweis) liegt, beim südlichen Nachbarn Tschechiens, Österreich, in aller Munde. Grund dafür ist das dortige Atomkraftwerk, welches noch von den Kommunisten geplant und nach der Wende fertiggestellt wurde. Österreich hat gegen den Bau und die Inbetriebnahme des Kraftwerks, welches lediglich 60 Kilometer Luftlinie von der gemeinsamen Grenze entfernt liegt, stets protestiert und darauf verwiesen, dass es sich um einen Reaktor sowjetischer Bauart handelt.

Aus Temelin wurde also ein Dauerbrenner in den tschechisch-österreichischen Beziehungen. Was aber zunächst wie ein Streit unter zwei Nachbarländern aussah, bekam spätestens mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen Tschechiens mit der EU, eine völlig neue Dimension. Wien forderte von Prag eine sicherheitstechnische Nachrüstung des AKWs und als sich Tschechien zunächst weigerte dem nachzukommen, blockierte Österreich mehr als ein Jahr lang den Abschluss des Energiekapitels bei den Beitrittsverhandlungen. Ende November einigten sich die Regierungschefs beider Länder, Wolfgang Schüssel und Milos Zeman, unter Vermittlung der Europäischen Union nun doch auf einen Kompromiss bezüglich Temelin. Prag hat zugesichert, die Anlage nachzurüsten, Wien hingegen hat seinen Widerstand beim Abschluss des Energiekapitels aufgegeben. (...) Seither sind einige Wochen vergangen und die Proteste der Kritiker auf beiden Seiten der Grenze (...) sind auch ein wenig verstummt.

Zu denen, die auf österreichischer Seite von Beginn an gegen das AKW ins Feld zogen, gehört auch der oberösterreichische Landtagsabgeordnete Rudolf Anschober von den Grünen. Anfang dieser Woche weilte Anschober in Südböhmen. Radio Prag fragte ihn deshalb, ob er nach der Einigung der beiden Regierungschefs Temelin unter einem anderen Blickwinkel sieht: "Wie Sie wissen, lehnen wir seit 15 Jahren Temelin entschieden ab. Ich persönlich engagiere mich seit 15 Jahren im Wiederstand gegen Temelin ganz einfach aus zwei Gründen: Ich bin überzeugt davon, dass Atomenergie gefährlich ist und nicht sicher ist, wir haben deswegen auch in Deutschland den Atomausstieg durchgesetzt und wir wollen zusätzlich einen europäischen Atomausstieg erreichen. Zweitens, weil ich überzeugt bin, dass Temelin ein absolutes wirtschaftliches Fiasko für Tschechien wird. Deswegen bin ich überzeugt, dass Temelin nur durch eine wirtschaftliche Lösung, oder wenn Sie wollen eine wirtschaftlich-politische Lösung entschärft werden kann."

Die Österreicher haben in der Vergangenheit immer darauf verweisen, dass auch ihr eigener Weg zu einem Atomausstieg nicht selbstverständlich und leicht war. Schließlich hatte Österreich mit Zwentendorf ein AKW, dass fertiggestellt und bereits mit nuklearen Brennstäben beladen war. Dennoch gab es damals eine Volksabstimmung, in der eine knappe Mehrheit der Wählerinnen und Wähler gegen das Einschalten von Zwentendorf entschied. Seitdem ist Österreich, zumindest offiziell, ein atomstromfreies Land und versucht diesen Kurs auch innerhalb der Europäischen Union populärer zu machen. (...)

Schon seit geraumer Zeit hoffen die österreichischen Atomkraftgegner, dass sich in Tschechien ein Politiker bzw. eine Partei findet, die ihren Anliegen und Standpunkten zumindest teilweise entgegenkommen würde. Das lange Warten hat sich scheinbar gelohnt, denn vor ungefähr zwei Monaten ließ der Spitzenkandidat der oppositionellen Viererkoalition Karel Kühnl mit einer bemerkenswerten Aussage aufhorchen. In einem Interview für das österreichische Fernsehen meinte dieser Politiker, der relativ gute Chancen hat, nach den nächsten Wahlen künftiger Regierungschef des Landes zu werden, Tschechien müsse sich ernsthaft Gedanken darüber machen, wie es in einigen Jahren den Atomausstieg bewerkstelligen wird und erklärte weiter, die Atomkraft sei keine zukunftsträchtige Energiequelle. Sofort hagelte es Kritik von allen Seiten in Richtung Karel Kühnl, der seine Aussagen später noch einmal bekräftigte. Das war umso interessanter, als dass Kühnl selber vor einigen Jahren Industrieminister war und damals keinen Zweifel nicht nur an Temelin, sondern an der Nutzung der Atomkraft als solcher erkennen ließ.

Diese Signale werden zunehmend auch in Österreich wahrgenommen und positiv bewertet. Der Grünen-Abgeordnete Rudolf Anschober bringt abschließend seine Hoffnung zum Ausdruck, dass sich auch in anderen europäischen Ländern bei den Politikern ähnliche Veränderungen in der Haltung zur weiteren Nutzung der Atomkraft ergeben werden: "Schauen Sie, ich bin mir sicher, dass es keine Atomanlage auf der Welt gibt, die wirklich sicher ist. Deswegen geht es auch nicht um Temelin alleine, sondern wir wollen in ganz Europa einen Atomausstieg erreichen. Das dauert zwar lange und geht nicht von heute auf morgen, aber es ist klar, dass wenn eine der größten Industrienationen der Welt, Deutschland, aus der Kernenergie aussteigt, und das sollte das Modell für Temelin sein, das sollte aber auch für andere Länder, wie Großbritannien und Frankreich gelten. Das muss das Ziel sein." (ykk)