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Prager Koalitionskarussell

4. Juni 2002

- Heftiges Streitgespräch zwischen Spidla und Klaus

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Prag, 3.6.2002, RADIO PRAG, deutsch, Lothar Martin

Nur noch knapp zwei Wochen verbleiben bis zu den Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus. Noch kann man schwer vorhersagen, welche der beiden großen Parteien hierzulande als Sieger aus den Wahlen hervorgehen wird - die regierenden Sozialdemokraten (CSSD) oder die Demokratische Bürgerpartei (ODS). Ebenso wenig, welche Parteien eine mögliche Regierungskoalition nach den Wahlen bilden werden. Eines scheint jedoch bereits festzustehen: die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch einen so genannten Oppositionsvertrag zwischen CSSD und ODS wie in der ausklingenden Legislaturperiode, den wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht wieder geben. (...)

Václav Klaus, der Chef des Abgeordnetenhauses und der stärksten tschechischen Oppositionspartei, der ODS, spinnt gern die Fäden im Hintergrund. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vor vier Jahren hatte seine Partei zwar den Sozialdemokraten den Sieg überlassen müssen, doch aus Mangel an willigen Regierungspartnern überließen sie Klaus die Koalitionsverhandlungen. In diesen ersann die ODS den Oppositionsvertrag, bei dem insbesondere Klaus und Regierungschef Milos Zeman die Machtverteilung arrangierten. Dieses Hintertürchen hätte sich der Oppositionsführer auch gern für diese Wahlen offen gelassen, doch er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn der sozialdemokratische Parteichef und Spitzenkandidat heißt nicht mehr Milos Zeman, sondern Vladimír Spidla. Und der hat beim jüngsten Rededuell, ausgetragen bei einer Diskussionssendung des TV-Kanals Prima am letzten Sonntag (2.6.), deutlich gemacht, dass es unter seiner Führung keine Wiederholung des Rollenspiels mit den Bürgerdemokraten geben wird. Spidla machte klar: "Es ist nicht meine Absicht, die Regierungsgeschäfte in einer Koalition mit Václav Klaus auszuüben. Ich werde alles dafür unternehmen, damit die Kraft der ODS eine solche sein wird, dass diese Angelegenheit auch nicht theoretisch in Betracht gezogen werden kann."

Diesen Worten ließ Spidla in der Fernsehsendung zudem ungewohnt scharfe Töne gegen die Bürgerdemokraten und deren vor 1998 geleistete Regierungspolitik folgen. Spidla bezeichnete Klaus als Demagogen, der mit den Schicksalen der Menschen experimentieren will und dessen Regierung das Land, so Spidla wörtlich, "einen Monat vor Argentinien", also vor dem Kollaps der Staatsfinanzen gelassen habe. Der Chef der Sozialdemokraten wehrte sich nicht dagegen, dass seine Partei nach den Wahlen wieder als Minderheitsregierung dastehen könnte. Doch auch in einem solchem Fall würden die Sozialdemokraten weder eine Regierungskoalition noch eine Oppositionsvereinbarung mit den Kommunisten eingehen, äußert Spidla.

Der so unverhofft gescholtene Klaus wusste sich zu wehren und lederte zurück. Er bezeichnete die Worte seines Kontrahenten als "neue Schüsse von der Aurora" und ergänzte, dass "sich die Sozialdemokraten ihr kleines Sacko im Unterschied zum Kommunismus von einem neuen Schneider haben machen lassen, aber vieles ist gleich geblieben." Über die möglichen Koalitionen nach den Wahlen wollte Klaus nicht sprechen, doch er schloss eine jedwede Zusammenarbeit seiner Partei mit den Kommunisten aus. Wie jedoch bekannt wurde, hatte Klaus in der Nacht von Freitag zu Samstag ein geheimes Treffen mit dem Chef der Christdemokraten Cyril Svoboda und dessen ersten Stellvertreter Milan Simonovský gehabt. Beide Seiten wollten sich zu diesem Treffen nicht näher äußern, doch Simonovský sagte der Presse gegenüber zumindest, dass man sich den Weg zueinander nicht verbauen will. Es darf also wieder kräftig spekuliert werden, inwieweit ODS-Chef Klaus auch diesmal wieder versucht, die Fäden im Hintergrund zu spinnen. (fp)