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Prediger von Zufalls Gnaden

21. August 2004

Saddam Hussein ist gestürzt, doch im Irak ist den USA ein neuer Angstgegner erwachsen: Seit Wochen und Monaten setzt der radikale Schiitenprediger Moktada el Sadr den US-Truppen und ihren Verbündeten schwer zu.

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Moktada el Sadr in AktionBild: AP


Ginge es nach Moktada el Sadr, wären die US-Soldaten wohl längst aus Irak vertrieben und ein islamischer Gottesstaat nach iranischem Vorbild in Irak errichtet. Sadr ist Spross einer angesehenen theologischen Dynastie, deren Mitglieder ihre religiöse Tätigkeit unter der Herrschaft des sunnitischen, aber säkularen Präsidenten Saddam Hussein zum Teil mit dem Leben bezahlten. Sein Vater, Großayatollah Mohammad Sadek Sadr, wurde 1999 angeblich auf Anordnung der damaligen irakischen Regierung ermordet. Auch Sadrs Brüder Moamel und Mustafa starben. Seine Mutter, sein Bruder Mortada und er selbst blieben unter Hausarrest.

Kaum eigene Qualifikationen

Auf dem Papier mag Sadrs Aufstieg erstaunlich erscheinen: Er ist so jung, dass seine Anhänger sein Alter künstlich hochsetzen, er drückt sich alles andere als gewandt aus, politisch kann er auf keinerlei Erfahrungen zurückgreifen und theologisch nur auf eine abgebrochene Ausbildung. Nach Angaben seiner Vertrauten war 1999 der Wendepunkt in Sadrs Leben. Der füllige junge Mann mit dem runden Gesicht und dunklen Bart trat in die Fußstapfen seines Vaters, dessen sozialem Engagement zu Ehren das schiitische Armenviertel Bagdads, Saddam City, seit dem Sturz Saddam Husseins im vergangenen Jahr seinen Namen trägt. Dort wird Sadek Sadr noch heute wie ein Heiliger verehrt - und davon profitiert nun sein Sohn.

Vertraute beschreiben den etwa 30-Jährigen als dickköpfig und nervös, seine Redekunst erschöpft sich oft in simplen Parolen. Er spricht keine Fremdsprache. Seine einzige Auslandsreise führte ihn vor einem Jahr in den Iran. Als Manko innerhalb der schiitischen Gemeinschaft gilt die - auch durch das Lebensalter bedingte - mangelnde theologische Qualifikation Sadrs. So führt er nicht einmal den Titel eines "Mudschtahid", der ihm die Auslegung des Koran oder der Überlieferungen von Äußerungen des Propheten Mohammed erlauben würde.

Unterschätzt

Von den Ayatollahs wurde der junge Prediger lange Zeit nicht ernst genommen. Doch während sie eher im Hintergrund auf Mäßigung dringen, fallen Sadrs Hasstiraden gegen die US-Besatzer zunehmend auf fruchtbaren Boden. In den Slums von Bagdad, den heiligen Schiiten-Städten Nadschaf, Kerbela und Kufa sowie in Basra stützt er sich inzwischen auf eine mehrere tausend Mann starke Anhängerschaft.

Um sein Ziel zu erreichen, greift Sadr gerne auf die Tricks der Demagogik zurück. Bewusst verschanzt sich seine Miliz in Nadschaf in der Imam-Ali-Moschee und auf dem anliegenden Pilgerfriedhof. Die US-Truppen können keinen Angriff auf die Moschee riskieren, sonst wäre ein Aufstand aller Schiiten, selbst der gemäßigten, vorprogrammiert. Die irakischen Sicherheitskräfte ihrerseits sind vermutlich nicht stark genug, um den Aufständischen Paroli zu bieten.

Den gemäßigten Ayatollahs ist inzwischen klar, dass sie den "jungen Wilden" unterschätzt haben. Ein Vertrauter des geistigen Führers der Schiiten, Großayatollah Ali Sistani, sagte kürzlich, Sistani bedauere, dass er zur ärztlichen Behandlung nach Großbritannien gereist sei. Hätte er geahnt, wie sehr sich die Krise zuspitzen würde, hätte er sein Land nicht verlassen. (arn)