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Deutscher Lehrerpreis

12. Dezember 2011

Lehrer gelten in Deutschland als bequem. Der Deutsche Lehrerpreis zeigt, dass es auch anders geht. Die Auszeichnung hat jetzt eine Hauptschule erhalten, die sich sehr für ihre Schüler mit Migrationshintergrund engagiert.

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Hauptschul-Rektorin Christine Georg (rechts) und ihr Team (Foto: Deutscher Lehrerpreis)
Ausgezeichnet: Hauptschul-Rektorin Christine Georg (rechts) und ihr TeamBild: Deutscher Lehrerpreis

In der Philipp-Reis-Hauptschule in Gelnhausen nahe Frankfurt am Main läutet die Pausenglocke. Doch das interessiert heute keinen Jugendlichen aus der 9. Klasse. Heute stehen die Generalproben für die anstehenden Projekt-Prüfungen auf dem Programm. In kleinen Gruppen haben die Schüler im Alter zwischen 14 und 15 ein Projekt erarbeitet, das sie den Lehrern und Eltern vorstellen sollen. Sie haben Fußballtore gebaut, sich mit der Geschichte des Hundes oder mit dem islamischen Gebet beschäftigt. Eben mit Themen, die Teil ihres Alltags sind.

Zu den Projektwochen gehört aber nicht nur die theoretische Beschäftigung mit einem Thema. Die Schüler gehen auch in Werkstätten, um dort ihre praktischen Fähigkeiten zu testen. "Wir lassen die Schüler feilen, bohren und sägen", erzählt Klassenlehrer Edwin Herbert. "Sie sollen alles ausprobieren, was zu einem Handwerksberuf gehört, damit sie später die richtige Berufswahl treffen."

Mehrere Praktika helfen bei der Berufswahl

Ausbildung von Jugendlichen in einer Kfz-Werkstatt (Foto: ZB-Fotoreport)
Praxis wird groß geschrieben in den ProjektwochenBild: Philipp-Reis-Schule Gelnhausen

Der 16-jährige Ibrahim hat seinen Traumberuf schon gefunden. Da er sich sehr für Autos interessiert, möchte er Kfz-Mechatroniker werden. "Ich will unbedingt in einer Autowerkstatt arbeiten", erzählt er, "dort werde ich als Lehrling nicht alleine gelassen, sondern gut betreut." Besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund wie Ibrahim - und dazu zählen rund 70 Prozent an der Schule – ist es oft schwierig, einen geeigneten Ausbildungsplatz zu finden. Häufig sind es Sprachprobleme, die im Weg stehen, immer wieder aber auch die Frage, welcher Beruf überhaupt zu einem passt. Um das herauszufinden, machen alle Schüler der 8. und 9. Klasse der Philipp-Reis Hauptschule mehrere Praktika über einen längeren Zeitraum.

Nur eine von vielen Besonderheiten, die die preisgekrönte Schule von anderen unterscheidet und ein Pluspunkt, den die Schülerin Maike aus der 9b besonders schätzt. "In meiner alten Schule konnte ich nur ein dreiwöchiges Praktikum machen", sagt sie. "Das war viel zu kurz, um zu merken, ob mir ein Beruf gefällt und zu mir passt oder nicht." Nach den Praktika an der Philipp-Reis Hauptschule weiß sie nun, dass sie unbedingt ihren Realschulabschluss machen und nach einer Ausbildung noch ein Studium zur Tierärztin absolvieren möchte.

Hilfe in interkulturellen Streitfragen

Eine Frau mit Kopftuch sitzt gebeugt über einer Schulaufgabe (Foto: AP)
Hier können die Schüler ausprobieren, ob der gewählte Beruf zu ihnen passtBild: Philipp-Reis-Schule Gelnhausen

Dass der Unterricht an der Philipp-Reis-Hauptschule so praxisorientiert ist, liegt auch daran, dass viele Lehrer an der Schule einen beruflichen Hintergrund haben. Einer von ihnen ist Schreinermeister Boris Hilb. Er arbeitet seit einem Jahr an der Philipp-Reis-Hauptschule als Berufseinstiegsbegleiter. Zu seinen Aufgaben gehört es vor allem, Gespräche mit den Arbeitgebern zu führen, wenn sich der Berufseinstieg schwierig gestaltet. "Eine Schülerin unserer Schule hat nach einem Praktikum in einer Arztpraxis sofort einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen", berichtet Hilb. "Doch dann hat der Arzt einen Rückzieher gemacht, weil das Mädchen ein Kopftuch trägt." Nun verhandelt der "Berufseinstiegsbegleiter" zwischen dem Arzt und der Muslimin, wie beide mit dem Kopftuch umgehen können, damit die Schülerin ihren Ausbildungsplatz als Arzthelferin tatsächlich bekommt.

Auch Mitglieder des Ausländerbeirates in Gelnhausen engagieren sich für die Schüler. Sie kommen zu Elternabend oder begleiten die Lehrer zu Hausbesuchen. Sie übersetzen und vermitteln. Diese weit verzweigte interkulturelle Struktur, in der viele mitmachen und auch in ihrer Freizeit Nachhilfe organisieren, mit den Jugendlichen Ausbildungsmessen besuchen oder Wochenendausflüge unternehmen, ist ein wichtiger Baustein in dem Projekt "Interkultureller Berufseinstieg", für das die Philipp-Reis-Hauptschule mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet wurde. Hinzu kommen die zahlreichen Praktika parallel zum Schulunterricht. Das alles zusammen bietet vor allem jenen Jugendlichen, die sich mit der deutschen Sprache und dem Bildungssystem schwer tun, viel Zeit und Raum, um ihre Talente zu entdecken und am Ende hoffentlich ihren Traumberuf zu ergattern.


Autorin: Anna Engel
Redaktion: Sabine Damaschke