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Politik

"Pressefreiheit ist bedroht"

20. April 2017

Physische Gewalt, Einschüchterung, Diffamierung - der Europarat hat Journalisten in Europa nach ihren Erfahrungen befragt. Im Interview spricht die Studienautorin über das Ergebnis und die Folgen für die freie Presse.

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Deustchland |Autokorso für  inhaftierten Journalisten Yücel in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeldpicture alliance / Kay Nietfeld/dpa

Deutsche Welle: Für Ihre Studie 'Journalisten unter Druck: Unerwünschte Einmischung, Angst und Selbstzensur in Europa' haben Sie Journalisten in 47 Mitgliedstaaten des Europarats sowie Weißrussland befragt. Jüngst stand die Türkei besonders in der Kritik, die Pressefreiheit immer weiter einzuschränken. Konnte ihre Studie ähnliche Tendenzen feststellen?

Marilyn Clark: Wir haben die Antworten aus den Umfragen unterschiedlichen Regionen zugeordnet. Dann haben wir uns aber auch entschieden, einzeln auf die Türkei zu schauen. Denn 13 Prozent unserer gesamten Antworten kamen von dort. Die Umfrage haben wir allerdings bereits im April 2016 zurückbekommen, also kurz vor den Ereignissen (Anm. der Red.: In der Nacht vom 15. auf den 16. Juni 2016 kam es in der Türkei zu einem Putschversuch. Daraufhin rief der Staat den Ausnahmezustand aus und ging in Folge auch gegen Medienhäuser vor). Dennoch waren die Antworten aus der Türkei wirklich erschütternd. Wir sehen sehr hohe Werte bei vielen Typen von unerwünschter Einflussnahme und bei der Angst unter den Journalisten. In vielen unserer Kategorien schnitt die Türkei am schlechtesten ab. So zum Beispiel bei physischen Angriffen, psychologischen Übergriffen und Einschüchterung durch die Polizei.

Marilyn Clark, Forscherin an der Universität von Malta
Marilyn Clark, Leiterin der Studie des EuroparatsBild: Marilyn Clark

Insgesamt haben Sie 940 Journalisten befragt. Die Studie ist nicht repräsentativ - die Ergebnisse lassen aber aufhorchen: So sagen knapp 70 Prozent der Befragten, dass sie Opfer psychischer Gewalt geworden sind. Mehr als die Hälfte klagt über Anfeindung über das Internet. Würden Sie sagen, dass die Pressefreiheit in Europa in Gefahr ist?

Die Zahlen sind hoch und springen einen förmlich an. Aber wir können das nicht auf alle Journalisten in Europa beziehen, weil die Befragten sich selbst entschieden haben, teilzunehmen und nicht zufällig ausgewählt wurden. Ich würde aber sagen, dass die Sicherheit von Journalisten in ganz Europa unter Druck steht. Und das hat Einfluss auf die Pressefreiheit. Es ist erschreckend, dass ein sehr hoher Anteil der Befragten, die bisher keine direkte unerwünschte Beeinflussung erlebt haben, davon ausgeht, in der Zukunft solche Erfahrungen machen zu müssen. Sie haben Angst davor, sich selbst oder ihre Quellen nicht mehr schützen zu können. Und das alles führt am Ende zu Selbstzensur. Und deshalb würde ich sagen: Ja die Pressefreiheit ist bedroht.

Der Westen sieht sich gerne als Vorreiter und Aushängeschild der Pressefreiheit. Wie steht es denn um die westlichen europäischen Staaten?

Es gibt große Probleme in den üblichen Ländern - ich sage mal den üblichen Verdächtigen. Doch darüber hinaus eben auch im Westen - auch in Ländern mit sehr starken demokratischen Traditionen sehen wir Herausforderungen für die Sicherheit von Journalisten. Die Menschen mögen nicht direkt ins Gefängnis kommen, aber es gibt Diffamierungskampagnen, um sie davon abzuhalten, zu schreiben, was wichtig ist.

Gibt es denn positive Aspekte, die Sie aus der Studie ziehen können?

Absolut! Wir haben eben auch untersucht, wie sich Einschüchterung oder die Angst davor auf die Arbeit von Journalisten auswirkt. Und dann haben wir eben auch nach Selbstzensur gefragt. Das ist am Ende der zentrale Punkt: Haben Journalisten noch immer den Mut, etwas zu schreiben, wenn es gefährlich wird? Neben einem sehr hohen Maß von Selbstzensur, sagen immer noch 36 Prozent, dass sie ihre Arbeit als Verpflichtung wahrnehmen und sich niemals selbst zensieren würden.

Im Fragebogen gab es auch Platz für Kommentare und einer der Journalisten schreibt: 'Ich habe nichts dagegen, wenn ich von außen angegangen werde. Das zeigt, dass ich etwas Relevantes von mir gebe und das treibt mich an.' Es gibt also trotz der Anfeindungen noch viele mutige Journalisten.

Marilyn Clark ist Sozialpsychologin an der Universität von Malta. Für den Europarat hat sie die Studie 'Journalisten unter Druck: Unerwünschte Einmischung, Angst und Selbstzensur in Europa' geleitet.

Das Interview führte Nicolas Martin.