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"In bleihaltige Luft fährt man nicht"

16. August 2018

Auch Manfred Protze war vor 30 Jahren als Journalist im Gefolge der Geiselnehmer von Gladbeck. Heute wacht der Sprecher des Deutschen Presserates über journalistische Ethik und sagt im DW-Interview: "Das war unethisch."

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Rösner Gladbecker Geiselnehmer
Bild: picture-alliance/AP Photo

DW: Herr Protze, Sie saßen in einem Taxi, das das Fahrzeug der Geiselnehmer verfolgte. Irgendwann hielten die Bankräuber an. Einer stieg aus und schoss auf Ihr Taxi. Was haben Sie gefühlt?

Manfred Protze: Ich war überrascht und geschockt. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Nachdem ich festgestellt hatte, dass wir überlebt haben, haben wir so reagiert, wie man im Schock eben reagiert - man kehrt sofort zur Routine zurück. Was erklärt, dass wir dem Bus in angemessener Entfernung weiter hinterhergefahren sind.

Bis zur niederländischen Grenze sind Sie dem Bus gefolgt. Haben Sie die Grenzen der seriösen Berichterstattung überschritten?

Ich kann kein Richter in eigener Sache sein. Der Presserat hat aber klargestellt: Es gehört zur Aufgabe von Journalisten, wahrheitsgemäß zu berichten. Ein Mittel dazu ist stets auch die eigene, unmittelbare Beobachtung. Der Einsatz dieses Mittels findet seine Grenze aber im Schutz von Leib und Leben von Menschen. In diesem Punkt können Presse und Polizei kooperieren.

Manfred Protze
Sprecher des Deutscher Presserats: Manfred ProtzeBild: Manfred Protze/Annika Ucke

Und genau so begann meine Geschichte: Noch bevor ich das Taxi gechartert habe, rief ich routinemäßig die Polizei an. Die Polizei sagte: "Wir sagen nichts!" Das war nicht kooperativ. Also musste ich mich um eine Ersatzquelle kümmern. Im Feierabendverkehr auf der Autobahn hatten wir dann auf einmal einen Linienbus aus Bremen vor der Nase, völlig zufällig. So haben wir gemutmaßt, dies musste der Geiselbus sein - und fuhren hinterher.

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass die Geiselnehmer eine Person erschossen hatten. Hätte ich das gewusst, hätte ich das Taxi nicht gechartert und wäre auch nicht hinterher gefahren. In bleihaltige Luft fährt man nicht. Aber es gab einen Mangel an Informationen und ein unkooperatives Verhalten der Polizei.

Schon vorher hat es in Köln diese bizarre Pressekonferenz gegeben. Aus dem Fluchtwagen heraus muss die 18-jährige Geisel Silke Bischoff Fragen beantworten, während einer der Täter ihr die Waffe an den Kopf hält. Die Polizei kann das von Reportern und Schaulustigen umringte Fahrzeug nicht stürmen. Ein Journalist, Vize-Chefredakteur des Kölner Express, steigt ein und lotst die Gangster aus der Stadt. War dieses Verhalten der Journalisten ethisch?

Das war eine klare Grenzüberschreitung und damit unethisch. Der Presserat hat ja in einer zusammenfassenden Bewertung aller Vorgänge, ohne das Verhalten des einzelnen Journalisten zu bewerten, klar gesagt: Eine Einmischung, eine Intervention von Journalisten in das Geschehen ist mit den Pflichten von Journalisten nicht vereinbar. Damit ist eigentlich alles gesagt: Beobachten - ja. Gegebenenfalls in Absprache mit der Polizei alles unterlassen, was Menschenleben gefährdet - ja. Aber Einmischen - nein!

Der Deutsche Presserat, dem Sie damals auch schon angehört haben, stellte 1988 fest, dass es "Interviews mit Geiselnehmern während des Geschehens nicht geben darf". Auch sei es nicht die Aufgabe von Journalisten, eigenmächtig Vermittlungsversuche zu unternehmen. Hätte der Presserat das Verhalten Ihrer Kollegen schärfer und eindeutiger verurteilen müssen?

Ich denke, mit dieser veröffentlichten Erklärung des Plenums, also seines höchsten Organs, hat der Presserat genau das getan. Das war deutlich genug. Wir haben gesagt, was geht und was nicht geht, wo die Rote Linie verläuft.

Das Verhalten Einzelner kann der Presserat nur bewerten und gegebenenfalls verurteilen, wenn er das dafür vorgesehene Verfahren einhält. Er muss dem angegriffenen Kollegen Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Der Einzige, gegen den wir ein Verfahren eröffnet hatten, war Udo Röbel [der damals stellvertretender Chefredakteur des Kölner Express und später Chefredakteur der BILD-Zeitung war, Anm. d. R.]. Das ist aber vertagt worden, weil parallel dazu bereits ein Gerichtsverfahren gegen ihn lief. Nach zwei Jahren hat der Presserat sein Verfahren eingestellt.

Dieter Degowski
Geiselnehmer Dieter Degowski posiert für die Presse mit seiner WaffeBild: picture-alliance/AP Photo

Welche Lehre hat der deutsche Journalismus aus den Ereignissen und dem Fehlverhalten vor 30 Jahren gezogen?

Ich kann nur mutmaßen, dass die Botschaft angekommen ist. Sie ist bisher nicht auf die Probe gestellt worden, weil es Gott sei Dank ein gleichartiges Ereignis nicht wieder gegeben hat. Ein solches Ereignis hatte niemand auf dem Plan - oder wäre irgendwie darauf vorbereitet gewesen.

Hat der deutsche Journalismus damals seine Unschuld verloren?

Der deutsche Journalismus hat seine Unschuld im Dritten Reich verloren. Dagegen ist Bremen und Gladbeck von deutlich geringerer Bedeutung. Aber es gibt auch Kritik, die unangemessen ist. Zu sagen: Da sind Journalisten über Leichen gegangen, ist überzogen und steht uns nicht zu Gesicht.

Das Gespräch führte Stefan Dege.