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Presseschau: "Vollständige Sicherheit gibt es nie"

11. August 2006

Die internationale Presse zu den verhinderten Terroranschlägen am Londoner Flughafen Heathrow.

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Die britische Tageszeitung "The Times" ist erleichtert über die mutmaßliche Vereitelung einer neuen Anschlagsserie auf Passagierflugzeuge:

"Wenn der Terroristenplan erfolgreich gewesen wäre, hätte es nach den Worten von Scotland einen 'Massenmord von vorstellbarem Ausmaß' gegeben. Mindestens 1500 Menschen wären getötet worden. Das Grauen über das, was hätte passieren können, wird nur von der Erleichterung übertroffen, dass der Plan vereitelt werden konnte. Aber auch wenn unschuldige Leben gerettet worden sind: Die Folgen werden ebenso nachhaltig sein wie die Folgen der Londoner Bombenanschläge vor einem Jahr. Der Flugverkehr, die öffentliche Sicherheit, die Toleranz zwischen den Religionen, die soziale Harmonie und die nationalen Prioritäten - alles ist betroffen."

Nach Meinung der "Basler Zeitung" gehen die Briten mit Terrorgefahr vorbildlich um:

"Und doch geben sich die Londoner alle Mühe, Alarmfälle wie diesen in landestypischer Pose zu nehmen, Tee trinkend und mit stoischer Miene. (...) Die Frage ist, wie wir auf die verschärfte Terrorgefahr reagieren: Ob wir eingeschüchtert unser Leben ändern. Oder ob wir potenziellen Attentätern genau diesen Gefallen nicht tun, so wie es die Briten vorbildlich vorexerzieren. Eines darf nicht passieren: Dass wir ein Leben voller Misstrauen führen, gar jeden Muslim unter Terrorverdacht stellen, nur weil er eine Gebetskappe trägt. Dann hätten die Fanatiker wirklich gewonnen."

Für den niederländischen "Telegraaf" (Den Haag) gibt es keine vollständige Sicherheit vor Terrorismus:

"Die Tatsache, dass Terroristen es erneut auf Flugzeuge abgesehen hatten, verpflichtet die Behörden, Flughäfen und Fluggesellschaften, erneut zu überprüfen, ob ihre Sicherheitsmaßnahmen ausreichend sind und vor allem ob Drohungen mit chemischen Stoffen ausreichend bekämpft werden. Die Menschen müssen schließlich weiter ruhigen Herzens fliegen können. Vollständige Sicherheit gibt es dabei nie. Terroristen werden immer versuchen, intelligenter zu sein als die Behörden und privaten Organisationen, die sie bekämpfen und als die Menschen, die sie treffen wollen. Auch in dieser Hinsicht sind sie kaum anders als die eher 'normalen' Organisationen, die die Gesellschaft bedrohen."

Der Wiener "Standard" vermutet, dass es noch schärfere Kontrollen geben wird:

"Wie jedes Mal, wenn die Bedrohung durch den Terror akut wird oder es zu sein scheint, treten Überlegungen über die Ursachen und mögliche Gegenmaßnahmen in den Hintergrund. (...) Wahr ist aber auch, dass in akuter Gefahr rasches Handeln nötig ist. Das ist ähnlich wie bei Hochwasser, zu dessen Ursachen in vielen Fällen ja auch länger zurückliegende Fehler von Menschen zählen. Vor der Analyse kommt aber der Rettungseinsatz. Dass in England mit seiner besonders kritischen Presse eine Terrorbedrohung einfach erfunden wird, kann man ausschließen. Und so ist abzusehen, dass sich die Menschen immer schärferen Kontrollen - als Reisende bis auf die nackte Haut - fügen werden."

Die Wiener "Presse" fürchtet, dass der Kampf gegen den Terrorismus auch die demokratischen Rechte der Bürger einschränken wird:

"'Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit," sagen sie. Ein Dilemma für jeden liberal denkenden Staatsbürger. Al-Qaida - und ihre Brüder im Geiste - zielen auf das Herz der globalisierten Gesellschaft: Der Flugverkehr ist (gemeinsam mit der Containerschifffahrt und den Hochleistungs-Kommunikationsnetzen) der Motor, der die beschleunigte Welt im Internet-Zeitalter am Laufen hält. Die Terroristen haben es immerhin geschafft, dass die Freiheit über den Wolken schon lange nicht mehr grenzenlos ist und dass die Angst stets mitfliegt. Daran kann auch der Erfolg der britischen Behörden nichts ändern."

Die römische Zeitung "La Repubblica" spricht von "Heimwerker-Terroristen":

"George W. Bush spricht von 'Islamo-Faschisten'. Aber das ist eine politisch-ideologische Definition (....) Es war in der Tat sehr viel einfacher und bequemer, gegen so genannte Schurken-Staaten zu kämpfen oder sich auf solche Kämpfe vorzubereiten. Aber das, was uns heute Angst macht, sind die Einzel-Schurken, die Individuum-Schurken, diejenigen, die nicht notwendiger Weise reich oder abenteuerlich sind wie Osama bin Laden und weder professioneller Guerillakämpfer sind oder Weltenbummler wie dieser. Heute handelt es sich dagegen um eine Art Heimwerker-Terrorist, der ebenso in einem Tal in Pakistan lebt wie in einer Vorstadt von London, wie viele der 24 Verdächtigen, die an diesem Donnerstag von der britischen Polizei festgenommen worden sind."

Die Pariser Tageszeitung "Le Figaro" spricht von einem "anderen Krieg":

"Während die Welt auf den israelisch-palästinensischen Konflikt blickt, erinnert uns die Tagesaktualität an einen anderen Krieg, der nicht beendet ist und jederzeit und überall töten kann. Ein ständiger Krieg, ein Krieg, der nicht seinen Namen nennt und von New York bis Istanbul, Madrid bis Bali, London bis Casablanca das Blut unschuldiger Menschen fließen lässt und Angst und Schrecken verbreitet. Er wird von einer Armee so genannter Mohammed-Anhänger geführt, das heißt Terroristen, die im Namen Allahs die internationale Ordnung zerstören wollen. Der islamistische Terrorismus ist seit langer Zeit voller Hass gegen den Westen und läuft Gefahr, sich immer mehr zu verbreiten - entsprechend des Rhythmus der zunehmenden Globalisierung. Mit den Dienern dieses reaktionären Krieges, den Milizen und den Staaten, die sie unterstützen, darf man kein Mitleid haben. Die Zukunft der Demokratien und ihrer Wirtschaft hängt davon ab."

Der britische "Daily Telegraph" vertritt die Meinung, dass die muslimische Gemeinde selbst mehr gegen radikale Tendenzen unternehmen muss:

"Natürlich muss die Regierung einen Dialog mit allen Schattierungen der muslimischen Gemeinde führen. Aber wenn Minister ernsthaft glauben, dass dies potenzielle junge Terroristen abschrecken kann, wäre das schrecklich naiv. In Wahrheit ist das keine Aufgabe für die Regierung. (...) Was die Muslime in diesem Land eint, ist allein der Respekt für die Familie. Der lange Marsch, um die unzufriedene muslimische Jugend zurückzugewinnen, muss zu Hause und in der Nachbarschaft beginnen. Das ist kein Problem, für das es eine Lösung von oben gibt. Es muss ganz unten angesetzt werden - mit der Erkenntnis, dass Väter und Mütter, Brüder und Schwestern und die weitere Verwandtschaft die Leute sind, die eine Radikalisierung am wahrscheinlichsten erkennen und am ehesten in der Lage sind, sie zu stoppen."