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Presseschau von Dienstag, 05. November

Martin Muno6. November 2002

Möllemann-Skandal //Türkei-Wahl

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Im Blickpunkt der Kommentatoren steht an diesem Dienstag neben dem FDP-Spendenskandal vor allem das Wahlergebnis in der Türkei.

Dazu schreibt der BERLINER KURIER:

"Die türkischen Wähler haben der politischen Kaste ihres Landes nicht nur einen Denkzettel verpasst, sie haben sie K.O. geschlagen."

Ähnlich drastisch äußert sich die WELT:

"'Wir haben Selbstmord begangen', befand der abgewählte Premier Bülent Ecevit und hat Recht. Alle etablierten Parteien haben bei den vorgezogenen Neuwahlen in der Türkei verloren: Ein selbst verschuldeter Bankrott der politischen Klasse der Ecevits, Cillers und Yilmaz', die sich durch Korruption, Machtversessenheit und Inkompetenz diskreditiert hat. Die Wahlen haben die politischen Realitäten in der Türkei offenbart. Dies war eine Protestwahl. Aber was kommt nun?"

In der HEILBRONNER STIMME heißt es:

"Die Wahl legt die tiefe Krise des Landes bloß und wird sie noch verschärfen. Dann nämlich, wenn die AKP unvermeidbar die großen Hoffnungen enttäuscht. Dazu gehört auch der Beitritt zur EU. Erdogan will alles dafür tun. Doch trotz unbestrittener Reformschritte gilt: Ein Staat, dessen Wirtschaft und Politik in einem so erbärmlichen Zustand sind, in dem Generäle Rettungsanker darstellen, der Minderheiten benachteiligt, dessen Gesellschaft in eine kleine städtische Elite und eine breite rückständige Landbevölkerung zerfällt, der kulturell derart anders geprägt ist als Europa, so ein Staat hat in der Gemeinschaft nichts zu suchen."

Das sieht die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG ganz anders:

"Es gibt keinen Grund, Erdokan mit Vorschusslorbeeren zu bedenken. Aber ebenso wenig macht es Sinn, seine Partei zu verteufeln. Ein Angstschrei aus Brüssel - 'Islam ante portas' - wäre das falsche Signal. Nüchtern betrachtet bietet der Wahlsieg die nachgerade einzigartige Chance, eine gemäßigte islamische Partei international in die politische Pflicht zu nehmen. Als Alternativ-Modell zu Bin Laden, Hamas und zu Regimen vom Schlag der Taliban wäre eine rechtsverpflichtete islamische Regierung in Ankara ein Angebot mit Ausstrahlung auf die gesamte muslimische Welt."

Ähnlicher Meinung ist die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

"Die Türkei zählt sich selbst zum Westen, aber auch zur islamischen Welt. Mit einer Regierung, die ihre Wurzeln in der islamischen Kultur nicht verleugnet, aber auch an die Demokratie glaubt, geht das laizistische Land nun ein bislang einmaliges Experiment ein. Gelingt die Synthese, dann ist dies ein Signal für andere Länder mit islamischer Tradition. Die Türkei würde damit beweisen, dass ihr modernes und dynamisches Gesellschaftsmodell erfolgreicher ist als jeder Gottesstaat. Das wäre dann auch eine Wegmarke für den Westen, der von einer solchen Türkei nur profitieren kann."

Die BERLINER ZEITUNG geht auf das beginnende Verfahren gegen den FPD-Politiker Jürgen Möllemann ein:

"Möllemann ist nicht gefallen, er ist nur versunken im Morast seiner ungezügelten Ambitionen und seiner antisemitisch aufgeladenen Pöbeleien. Auch Westerwelle wird - wenn es so kommen sollte - nicht von finster entschlossenen Konkurrenten zu Fall gebracht, sondern durch eigenes Versagen. Noch niemals in der Geschichte der Liberalen
hat sich ein als Redner, als Verkaufsgenie gepriesener Vorsitzender derart rasant als Maulheld entpuppt, der kaum zum Ladenhüter taugt - weil ihm im eigenen Laden schon jede Orientierung fehlt."

Auch die DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN richten ihre Kritik in erster Linie auf Westwerwelle:

"Wären Möllemanns Neigungen zu Antisemitismus und zur
antiisraelischen Grundhaltung so gewaltig, wie das Geschimpfe über ein gar nicht so gewaltiges Flugblatt vermuten lässt, dann hätte Möllemann der politische Parteiprozess gemacht werden müssen. Die finanzielle Schwarzarbeit des Jürgen W. ist nur das vermutlich
illegale Beiwerk. Vorausgesetzt, ein mutiger Parteichef wüsste was er will und er hätte das Heft des Handelns in der Hand. Die Wirklichkeit ist eine andere: Westerwelle ist mutlos, weiß nicht so genau, wo er hin will, und andere handeln hinter seinem Rücken."