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Presseschau: "Westen muss Recht auf Meinungsfreiheit verteidigen"

Zusammengestellt von Angela Göpfert3. Februar 2006

Der Streit über die Mohammed-Karikaturen spaltet auch die Kommentatoren internationaler Zeitungen: Geht die Meinungsfreiheit über alles? Oder hat die Wahrung des Religionsfriedens Priorität?

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Die spanische Zeitung "El Mundo" plädiert, der Westen müsse seine Freiheitsrechte verteidigen:

"Die wütenden und zum Teil gewaltsamen Aktionen in Ländern der arabischen Welt zeigen, dass es dort kein Verständnis gibt für ein demokratisches System, in dem die Presse frei ist und nicht im Namen der Herrschenden spricht. (…) Auf die rabiaten Proteste der Muslime darf man nicht reagieren, indem man sich entschuldigt. Der Westen muss vielmehr sein Recht auf Meinungsfreiheit standhaft verteidigen, denn dieses ist einer der Grundpfeiler eines jeden demokratischen Systems."

Die linksliberale britische Zeitung "The Independent" appelliert dagegen an das Verantwortungsgefühl der Journalisten:

"Bei der Ausübung ihrer Rechte müssen die Medien Fingerspitzengefühl zeigen. (…) Es ist zu einfach, sich in dieser komplizierten Situation hinter der Pressefreiheit zu verstecken. Bei der Entscheidung um die Veröffentlichung der Karikaturen geht es nicht unbedingt um richtig oder falsch. Journalisten haben Rechte, aber Menschen haben auch ein Recht darauf, in einer säkularen, pluralistischen Gesellschaft zu leben, ohne sich so entfremdet und bedroht zu fühlen wie im Moment die Muslime. Es geht letztendlich um Respekt. Die Presse hat neben ihren Rechten auch Verantwortung, und es gibt eine Grenze zwischen kontroversem und unverantwortlichem Journalismus, die nicht überschritten werden darf."

Die Pariser "Libération" sieht in dem Streit um die Mohammed-Karrikaturen den Zusammenprall unterschiedlicher Wertesysteme:

"Das eine basiert auf dem Grundsatz der Laizität und toleriert, mehr oder weniger, selbst radikale Angriffe auf den Klerus. Im anderen steht die Religion im Mittelpunkt der Identität von Völkern und Regierungen, was jeden Angriff auf sie unerträglich macht."

Laut der niederländischen Zeitung "Trouw" stellt diese Debatte "die Welt auf den Kopf":

"Journalisten bieten Entschuldigungen an, werden entlassen oder über sich in Selbstzensur. In Deutschland gab es in den 1930er Jahren einen Begriff dafür: 'Einschüchterung'. Das beschreibt genau, was zur Zeit passiert. (…) Es geht darum, dass es unannehmbar ist, wie einige Muslime und Regierungen ihre Gefühle ausdrücken. Respekt vor der Religion durch Einschüchterung kann nicht durch diejenigen erzwungen werden, die keinen Respekt vor der Freiheit haben."

Die niederländische Zeitung "De Volkskrant" fordert deshalb von den Europäern einen klaren Kurs:

"Auch wenn der ganze Protestlärm zu einem guten Teil aus Pflichtnummern besteht, gibt es genug Gründe für Europa deutlich zu machen, dass hier ein zentrales Stück unserer Demokratie auf dem Spiel steht, die freie Meinungsäußerung. Es kommt nun darauf an, den Rücken gerade zu halten und auf den Ruf nach offiziellen Zurechtweisungen und politischer Einmischung nicht einzugehen, der vor allem von Regimes und Gruppen kommt, die mit Freiheit und Toleranz nicht sehr viel zu tun haben. (…) Leider sind in Europa schon wieder weiche Knie zu sehen."

Die "Neue Zürcher Zeitung" schreibt dagegen:

"Es gibt kein Menschenrecht auf Verletzung der menschlichen Würde. (…) Die herabwürdigende Kraft der Karikaturen in der Zeitung 'Jyllands-Posten' mag gering oder gar nicht vorhanden sein. Ihr Potenzial, Missverständnisse zu erregen, ist aber, ganz zur Überraschung ihrer Urheber, groß. (…) Auf arabisch-muslimischer Seite sind die Reaktionen maßlos ausgefallen."

Für die konservative britische Zeitung "The Times" aus London schließlich geht der Protest mancher Muslime zu weit:

"Der Nachdruck der Karikaturen hat etwas von Exhibitionismus und ist nicht neutral. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sie auch moderate Muslime beleidigen. Sie haben deshalb ein Recht darauf, dagegen zu protestieren. (…) Es geht aber zu weit, wenn man Minister für journalistische Entscheidungen der freien Presse in ihren Ländern verantwortlich macht, alle Produkte aus dem Land boykottiert oder sogar zu Gewalt aufruft. Der Begriff Redefreiheit wird in der islamischen Welt oft missverstanden, und die jetzige Situation zeigt, wie breit der Graben zwischen den Kulturen ist."