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Politik

"Wohin will Merkel mit dem Land?"

Nastassja Shtrauchler mit Agenturen
21. November 2016

Angela Merkel wird es noch mal wagen: 2017 strebt sie eine vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin an. Was viele gehofft und andere befürchtet hatten, beschäftigt die Presse weltweit.

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Angela Merkel
Bild: picture-alliance/AP Photo/M.Schreiber

"Weiter, immer weiter - aber wohin? ", fragt "Spiegel Online" in seinem Kommentar: 

Nun sei es endlich raus, doch die erneute Kandidatur Angela Merkels berge Risiken: "für sie selbst, ihre Partei - und das Land." Für jene Menschen, die bei öffentlichen Auftritten der Kanzlerin "Merkel muss weg" brüllen, sei die erneute Kandidatur eine Provokation. Eine weitere Amtszeit könne die Spaltung Deutschlands noch vertiefen. Vor allem dann, wenn sie im Falle eines Sieges vier weitere Jahre mit einer Großen Koalition regieren würde.

Der Berliner "Tagesspiegel" findet: Es wäre ein Witz gewesen, hätte Merkel hingeworfen: 

So wäre es nämlich in ihrer eigenen Partei empfunden worden. Die CDU sei auf sie ausgerichtet wie nie eine Partei zuvor auf irgendjemanden. Auch beim "Tagesspiegel" fragt man sich: "Wohin will Merkel mit dem Land?" Die Aufgabe laute, so der "Tagesspiegel", den Kurs Deutschlands festzulegen, aber nicht in einer Art Geheim-Kabinett wie in vorigen Jahrhunderten. "Dem Populismus entgegenzutreten, verlangt Fakten, immer wieder Fakten, und Transparenz. Wirklich etabliert ist, wer keine Debatte fürchtet."

Der Bonner "General-Anzeiger" (GA) analysiert, Angela Merkel habe nüchtern kalkuliert: 

"Die Voraussetzungen für einen Erfolg sind in der Tat günstig", schreibt der GA. Es sei ihr gelungen, die Flüchtlingskrise weitgehend in den Griff zu bekommen. Der ungebremste Zustrom sei gestoppt. Europa habe sich darauf verständigt, sich nicht zu verständigen. Das diskutiere Merkel derzeit nicht weiter. Von dauerhaften Lösungen sei man zwar noch immer weit entfernt. "Auf der Grundlage der vielen Kompromisse fühlt sich Merkel aber offenbar sicher genug. Die Ruhe an dieser Stelle raubt der AfD eine wesentliche Voraussetzung für ihren Erfolg."

Verantwortung übernehmen und sich selbst ein Denkmal setzen

Die "Volksstimme" aus Magdeburg deutet die erneute Kanzlerkandidatur als pragmatische Entscheidung:

Mit Merkel habe die Union die größten Chancen, bei der Bundestagswahl 2017 wieder stärkste Partei zu werden - "trotz der Tatsache, dass ihr Ansehen in der Bevölkerung während der Flüchtlingskrise gelitten hat". Doch es spreche gerade für die CDU-Politikerin, dass sie für ihre unpopuläre Entscheidung, so viele Geflüchtete aufzunehmen, weiter die Verantwortung übernehme und deren Integration vorantreiben möchte. "Diese Mammutaufgabe dürfte Merkel mit einem neuen Partner anstreben: den Grünen. Gelinge es ihr, die vierte Amtszeit mit einem dritten Partner (nach SPD und FDP) zu vollenden, setze sich Angela Merkel endgültig ein Denkmal in der deutschen Geschichte."

Die "Stuttgarter Zeitung" sieht die Kanzlerkandidatur Merkels im europäischen Kontext schwierig:

"Unter den schwächelnden Partnern erscheint Merkel noch am stärksten. In einer Europäischen Union, die mehr von Zentrifugalkräften als vom Zusammenhalt beherrscht wird, mag Merkels Dauerkanzlerschaft wie ein Hort der Stabilität wirken. Doch gerade in Europa will keiner, dass Deutschland sich als Großmacht aufführt. Dazu fehlten sowohl finanzielle Mittel als auch militärische Stärke - und nicht zuletzt politischer Rückhalt in der Heimat."

Symbolbild Internationale Presse
Auch die internationale Presse kommentiert die erneute Kanzlerkandidatur Merkels Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

"Europas einflussreichste Persönlichkeit"

Die britische Zeitung "The Telegraph" glaubt, dass Angela Merkel möglicherweise nicht wiedergewählt wird: 

Angesichts der Anti-Regierungshaltung der Wähler überall auf der Welt stünden die Chancen hoch, dass sie verlieren werde. Im Gegensatz zu anderen führenden Politikern auf der Welt, bleibe Merkel aber im eigenen Land und darüberhinaus beliebt. Sie sei Europas einflussreichste Persönlichkeit und müsse nun all ihre Erfahrungen einbringen.

Die konservative Zeitung "Lidove noviny" aus Tschechien sieht in Merkel die bestimmende Persönlichkeit Deutschlands:

"Das ist schlicht eine Tatsache, welche selbst diejenigen anerkennen müssen, die ihr alles Mögliche vorwerfen: etwa, dass ihr eine feste ideologische Basis fehlt, dass sie Probleme wie ihr einstiger Mentor Helmut Kohl aussitzt und dass sie die deutschen Grenzen übereilt für Flüchtlinge geöffnet hat. "

Die russische Tageszeitung "Kommersant" geht von hohen Chancen für Merkel als erneute Kanzlerin aus: 

Merkel habe die Chance, mit ihrem vierten Wahlsieg und einer vollen Amtszeit in einem Atemzug mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl genannt zu werden. "Nach Ansicht von Politologen gehört es zu einem der Geheimnisse der langen Dienstzeit von Merkel, aussichtsreiche Konkurrenten zu beseitigen und dann zu fragen: Wer, wenn nicht ich?"

Vereinigende Kraft Europas und der EU

Erst die Zukunft werde zeigen, ob die "großzügige Ankündigung von Angela Merkel ein Wagnis oder eine Wahl als Folge der politischen Rationalität ist", schreibt die italienische Zeitung "La Repubblica": 

"In der Lage eine Antwort auf die Herausforderungen zu geben, die die deutsche Politik vor unbekannte Fragen stellen wird - wie den unvermeidlichen Wandel Deutschlands zu einem Land der Einwanderung. Oder die Entschlossenheit, die Führung von ganz Europa auf sich zu nehmen, in einem Moment, in dem diese Aufgabe unaufschiebbar scheint."

Die liberale schwedische Tageszeitung "Sydsvenskan" kommentiert Merkels erneute Kandidatur als "gute und lang erwartete Nachricht": 

Routiniert und respektiert sei Merkel die vereinigende Kraft in Europa und der EU - und der gesamten freien Welt - "so sehr gebraucht in diesen Zeiten, wo so vieles andere ins Wanken geraten ist."

 

Die Presseschau wurde zusammengestellt von Nastassja Shtrauchler.