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Pressestimmen von Dienstag, 01. Juli 2003

zusammengestellt von Frank Gerstenberg30. Juni 2003

Steuerreformpläne der Regierung / Berlusconi EU-Ratspräsident

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Im Inland steht die Steuerreform im Mittelpunkt der Tageszeitungs-Kommentatoren. Der Blick ins Ausland richtet sich nach Italien, dessen Regierungschef Silvio Berlusconi an diesem Dienstag die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

Die in Hamburg erscheinende FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND beschäftigt sich mit dem Haltung der Union zu den Steuerplänen der Regierung:

"In der CDU-Zentrale sollten die Sektkorken knallen. Schließlich sind die Vorschläge Schröders vom Wochenende Unionspolitik pur: ein Mix aus Strukturreformen, Subventionsabbau und Steuersenkungen. Stattdessen verdammt Hessens Landeschef Koch die Vorschläge, und Parteichefin Merkel kündigt Zusammenarbeit an. Das Chaos ist perfekt. Schröder hat die Union überrumpelt."

Der MANNHEIMER MORGEN rät der Union zur Einsicht:

"Für die Opposition gibt es genügend Gründe, nicht mit Hurra-Rufen vor dem rot-grünen Steuerkurs stramm zu stehen. Und dennoch: Es wäre fatal, wenn CDU und CSU die Reform im Bundesrat blockieren würden, weil man diesen Erfolg dem politischen Gegner nicht gönnt. Will sich die Union etwa an Oskar Lafontaine ein Beispiel nehmen? Heute wäre ein bockiges 'Njet' genauso schlecht. Denn die Reform muss - eine solide Finanzierung vorausgesetzt - rasch kommen. Stoiber und Merkel sollten wissen: Erst kommt das Land, dann die Partei."

In der Zwickmühle sieht die Opposition auch die SAARBRÜCKER ZEITUNG:

"Wie viele gute und schlechte Gründe die Union auch anführen mag, um Gerhard Schröders neuesten Coup problematisch erscheinen zu lassen - es wird ihr nicht gelingen. Wer den Bürgern seit Jahren einredet, sie zahlten zu viel Steuern und Abgaben, kann sich nicht plötzlich als Bedenkenträger gegen Steuersenkungen aufführen."

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt sieht die Politik der Bundesregierung durchaus kritisch:

"Beängstigend einfach fiel es Gerhard Schröder, das Land aufzumischen. Wie bei der Ankündigung von Brot und Spielen im alten Rom übernahm er jetzt die Hoheit über die politischen Debatten mit dem Codewort Steuersenkung. Dabei hat er nicht einmal erklärt, wie er sie finanzieren will. Der rot-grüne Vorstoß würde jedoch an einer gut geführten CDU einfach abprallen. Stattdessen reagiert die Union verwirrt und sogar hysterisch."

An diesem Dienstag übernimmt Silvio Berlusconi für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. Für die Kommentatoren ist dies kein Grund zur Freude, zumal nach wie vor ein Korruptionsverfahren gegen den italienischen Regierungschef anhängig ist:

In der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU heißt es dazu:

"Silvio Berlusconi wird während seiner EU-Ratspräsidentschaft wohl nicht wegen Korruption verurteilt. Ist das eine gute Nachricht? In manchen EU-Hauptstädten herrscht Erleichterung darüber, dass der Prozess gegen den italienischen Ministerpräsidenten vorerst ausgesetzt worden ist. Zu jämmerlich stünde die krisengeschüttelte EU im Licht der Welt, wenn ihr Ratspräsident auf die Anklagebank eilen müsste. Es ist eine wirklich schlechte Nachricht: Der Regierungschef eines großen EU-Landes lässt sich ein Immunitätsgesetz zusammenbasteln, das ihn vor der Justiz schützt."

Der STUTTGARTER ZEITUNG geht es vor allem um Europa:

"Europa ist eine Wertegemeinschaft. Wenn in einem Kernland Europas gemeinsame Werte massiv verletzt werden, muss Europa darauf reagieren. Man könnte die Rechtsbeugungen offiziell beobachten und - beim Namen nennen. Man könnte sogar daran denken, die Mitgliedschaft Italiens in der EU ruhen zu lassen, auch wenn dies unrealistisch erscheint. Aber Berlusconi selbst und die italienischen Wähler müssen Signale erhalten, dass sie nicht ohne Folgen Grundregeln des modernen Rechtsstaates außer Kraft setzen können, ohne dass irgendjemand reagiert. Europa hat sich im Irak-Krieg kläglich verhalten. Jetzt geht es um Europa selbst. Und wieder ist die Reaktion kläglich."

Die Zeitung DIE WELT bringt die Stimmung auf den Punkt:

"Das Unbehagen ist groß. Mit Silvio Berlusconi leitet ein Mann in den kommenden sechs Monaten die EU-Amtsgeschäfte, der umstritten ist wie kaum einer seiner Vorgänger. Dennoch will sich die EU in inneritalienische Angelegenheiten diesmal wohlweislich nicht einmischen. Zu schlecht sind die Erfahrungen, die Schröder, Chirac und Co. in der Causa Österreich gemacht haben. Was die Sorgen der anderen EU-Länder aber durchaus verständlich macht, ist das fehlende Konzept Berlusconis zu Europa. Wer immer wieder mit Inbrunst die Aufnahme Russlands und der Türkei in die EU fordert, zeigt wenig Gespür für das politisch-kulturelle Geflecht, das die EU im Innersten zusammenhält. Die Sorge, dass Berlusconi die sechs Monate als EU-Präsident vor allem zur Selbstdarstellung nutzt, ist durchaus begründet."