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Pressestimmen von Dienstag, 10. August 2004

Herbert Peckmann9. August 2004

Protest gegen die Reformpolitik / SPD-Spitze will Oskar Lafontaine isolieren

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Der organisierte Protest gegen die Reformpolitik ist eines der beiden Hauptkommentarthemen in den deutschen Tageszeitungen an diesem Dienstag. Das zweite herausragende Thema ist der Versuch der SPD-Spitze, den früheren Vorsitzenden Oskar Lafontaine nach seiner jüngsten Attacke innerhalb der Partei zu isolieren.

Zu den Protesten gegen den Sozialabbau schreibt die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt:

"Sicher ist vieles von dem, was täglich an Schlechtem von der Sozialbaustelle dringt, übertrieben. Aber genau so sicher ist, dass vieles von dem, was auf die Menschen zukommt, erst nach und nach an Konturen gewinnt. Da mag Wirtschaftsminister Clement noch so barsch reagieren, den Nachweis, dass er nicht nur fordern, sondern auch fördern kann, muss er im Osten erst erbringen."

Andere Schwerpunkte setzt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

"Im Zuge der Panik wird gern vergessen, dass das Arbeitslosengeld II nicht als lebenslange Zahlung geplant ist, sonder als kurzfristige Hilfe, um wirkliche Not zu verhindern, Lebenskrisen zu überbrücken. Für die Erhaltung des gewohnten Lebensstandards ist der Staat nicht zuständig. Die politische Legitimität der Bundesrepublik hängt nicht von Wohlstand und Konsum ab. Dass nun gerade in den neuen Ländern alle Parteien versuchen, von der verbreiteten Staatsgläubigkeit und Opfermentalität zu profitieren, wird die ohnehin schwache bürgerliche Kultur im Osten dauerhaft schädigen. Selbst die CDU nährt hier den Glauben, es sei allein Aufgabe des Staates, Arbeitsplätze zu schaffen."

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf meint:

"Einst wurde über Nacht aus der 'Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands' die 'Partei des demokratischen Sozialismus'. Nun beobachten wir Erich Honeckers junge Garde husch, husch bei ihrer dritten Metamorphose. Hartz IV liefert den Vorwand für Marx III: Die PDSler entschlüpfen ihrem postkommunistischen Chitinpanzer vor unseren Augen als selbst ernannte Partei der 'wirklichen Bürgerrechtler' ... und mobilisieren die Massen für Montagsdemonstrationen neuen Typs."

Nach Ansicht der Zeitung DIE WELT hat sich der Sozialstaat in ganz Deutschland überhoben. Weiter heißt es:

"Daran ändert nichts, dass er im Westen anders wahrgenommen wird als im Osten, wo er als eine Art kollektive Kompensation für den ökonomischen Zusammenbruch nach Jahrzehnten Planwirtschaft missverstanden wird. (Das Reformpaket) Hartz IV ist keine Frage der Moral und keine Revolution von oben. Wer dagegen demonstriert, nimmt sein gutes Recht wahr. Aber er soll die Kirche im Dorf lassen."

Zu Lafontaines Rücktrittsforderung an Bundeskanzler Gerhard Schröder und der gleichzeitigen Drohung, ein Linksbündnis außerhalb der SPD zu unterstützen schreibt DER TAGESSPIEGEL aus Berlin:

"Auf den ersten Blick spricht alles dafür, dass die Entstehung einer linken Partei das Ende der SPD als Regierungspartei einleiten würde. Die Brisanz von Lafontaines Vorstoß ist indessen auch daran abzulesen, dass er andere taktische Spekulationen hervortreibt. ... Die bestürzenden rechten Erfolge in sächsischen Gemeinden vor einigen Wochen, die in beängstigenden demoskopischen NPD-Werten für die kommenden Landtagswahlen ihre aktuelle Entsprechung haben, zeigen an, wo im Moment die politischen Tellerminen liegen. ... Man muss geradewegs halsbrecherische politische Fantasie aufbieten, um sich davon positive Folgen zu erwarten."

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG schreibt zu Lafontaine:

"Da will sich einer wichtig machen, dem es fernab vom eigentlichen Politikbetrieb langweilig ist. Lafontaine ist es offenbar egal, dass die Gründung einer neuen Linkspartei die SPD in eine existentielle Krise stürzen könnte. Und Schröder? Den hat die Seele der Partei nie wirklich interessiert. Der regiert in der zweiten Legislaturperiode als Bundeskanzler und hat damit die eigene historische Mission erfüllt."

Schließlich konstatiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Na klar: Sie sind nervös an der Spitze der SPD. Seit der Rückmeldung des Oskar Lafontaine auf der politischen Bühne ist kein Tag vergangen und schon packt Franz Müntefering den großen Hammer aus. ... Münteferings Gegenschlag zielt augenblicklich vor allem darauf, den Saarländer weiter zu isolieren, um dessen politische Gefolgschaft im wahrscheinlich gewordenen Fall des späteren Parteiwechsels doch eher überschaubar zu halten."