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Pressestimmen von Dienstag, 11. April 2006

Thomas Grimmer 10. April 2006

Platzeck als SPD-Chef zurückgetreten

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Die politische Woche in Deutschland begann mit einem Paukenschlag. Matthias Platzeck trat - nicht einmal fünf Monate nach seiner Wahl - vom Amt des Parteivorsitzenden der SPD zurück. Die kurze Amtszeit Platzecks und die Erwartungen an seinen designierten Nachfolger, den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, bestimmen die Kommentare der deutschen Tagespresse.

Der Leitartikler der WESTFÄLISCHEN RUNDSCHAU aus Dortmund hält Platzecks Entscheidung für konsequent:

"Man hat ihn eine 'ehrliche Haut' genannt. Und so hat sich Matthias Platzeck auch als SPD-Vorsitzender verabschiedet. Er hat gesagt, dass sein Amt seine Kräfte überfordert hat. Das ist buchstäblich lebensgefährlich in einer Welt, in der jedes Anzeichen von Schwäche gnadenlos ausgenutzt wird. (...) Politik als Beruf ist ein menschenfeindliches Geschäft. Platzeck hat daraus realistische Konsequenzen gezogen. Dafür gebührt ihm Respekt."

Der Berliner TAGESSPIEGEL würdigt den Politikstil des scheidenden SPD-Chefs:

"Bleiben wird von Platzeck, dass sich einer aufmachte, Politik wieder zu öffnen fürs Argument, immerhin, in einer verkarsteten Parteienlandschaft mit vielen zernarbten Seelen nach etlichen Auseinandersetzungen. Man möchte sagen: Er wollte Blumen blühen lassen. Wem das zu sanft, zu lyrisch klingt, hat Platzeck nicht zugehört. Er ist doch der Sensible, von dem manche dachten, dass er es nicht sei. Wäre das ein Wahlkampf gegen Merkel geworden!"

Nach Ansicht der THÜRINGER ALLGEMEINEN aus Erfurt kann es auch Platzecks Nachfolger mit Merkel aufnehmen:

"Kurt Beck statt Matthias Platzeck: Die SPD kehrt zum Bodenständigen zurück. Dies ist sicherlich in der entstandenen Situation das einzig richtige. Vor allem mit dem Blick darauf, dass der Moment kommt, in dem Schluss ist mit dem schwarz-roten Eiapopeia und einer gegen Angela Merkel antreten muss. Da dürften die Chancen des strahlenden Siegers aus Rheinland-Pfalz besser stehen, als die des Brandenburgers. Becks hemdsärmlige Art kommt vor allem beim traditionellen Wahlvolk der Partei gut an. Selbst in schweren Zeiten gelang es ihm, gegen den Trend die absolute Mehrheit zu gewinnen. Und nur das zählt."

Die PFORZHEIMER ZEITUNG traut Beck weniger zu:

"Die Zukunft der SPD dauerte genau 146 Tage. Matthias Platzecks Rücktritt vom Parteivorsitz stürzt die Partei zurück in die Krise, von der die Genossen seit dem Karlsruher Parteitag im Dezember hofften, sie hinter sich zu haben. Wohl nicht nur kommissarisch muss nun Kurt Beck in die Bresche springen. Er ist der einzige unter den stellvertretenden Parteivorsitzenden, der auch nur annähernd das Format dazu hat (...). Aber die pfälzische Frohnatur Beck - seinen Wahlerfolg in Rheinland-Pfalz in allen Ehren - als Hoffnungsträger der Sozialdemokratie? Zu dieser Vorstellung gehört wohl mehr Phantasie, als selbst die optimistischsten Genossen derzeit aufbringen können."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER bewertet den Rückzug Platzecks so:

"Zunächst einmal verdient ein Mensch Respekt, der - wenn auch spät - auf die eigene Gesundheit achtet. Matthias Platzeck hat in einer Art Gewaltakt der Droge Politik entsagt, zumindest zu einem erheblichen Teil. (...) Vielleicht nehmen einige Spitzenpolitiker den Rücktritt des SPD-Chefs zum Anlass, die ihnen eigene Art der Betriebsamkeit zu überprüfen. Obwohl Politiker immer weniger bewirken, wächst ihr Stress immer mehr."

Die HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE aus Kassel meint, dass Platzeck auch an den Strukturen in seiner Partei gescheitert ist:

"Ist er, der menschliche Dialogsucher, zu schwach gewesen? Oder sind die Aufgaben dieses Amtes schlicht unmenschlich? Der SPD steht ein Vize-Kanzler vor, der im Zweifelsfall macht, was er will. Franz Münteferings Vorpreschen in Sachen Renteneintrittsalter hat gezeigt, dass ihm Würde und Wohl seines Parteichefs leidlich egal sind. Jetzt soll Kurt Beck es richten. Das zeigt einmal mehr: Nicht nur Platzeck kränkelt. Seine Partei mit ihren Strukturen ist auch nicht gesund."

Zum designierten SPD-Vorsitzenden Kurt Beck bemerkt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"Mit Kurt Beck in der Nachfolge von Matthias Platzeck ist die Schlagkraft der alten Partei gewachsen, ist Druck von der Terminplanung für den Großangriff auf den politischen Hauptgegner genommen und ist der Anschein von geheimer Rivalität zwischen dem Vorsitzenden und seinem Ersten Stellvertreter aus der Welt geschafft. Zumindest die Terminplanung und die Rivalität hätten die SPD-Führung langfristig verunsichert - erst recht, seit Beck seinen Wahlsieg errungen und damit den natürlichen Anspruch des Parteivorsitzenden Platzeck auf die Kanzlerkandidatur angekerbt hat. Platzeck war zu unerfahren und zu wenig verankert in der SPD und in der westdeutschen Politik, als dass er die Fallgruben hätte orten können."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hält die Nachfolgeregelung dagegen für eine Notlösung:

"Das Ringelreihen der SPD-Vorsitzenden, das nun seit 1991 anhält, ist symptomatisch für den Zustand einer Partei, die ihren inneren Halt verloren hat. Es zeigt sich in immer größerer Schärfe, wie arm die SPD geworden ist. Sie leidet an personeller Auszehrung, ihr fehlt ganz elendig die Generation, die von Helmut Schmidt einst zu den Grünen getrieben worden ist. Die SPD hat nun keine andere Wahl als Kurt Beck, den erfolgreichen, pragmatischen Landesvater, der eine wunderbar volksnahe Figur ist, bei dem aber die Schärfe der Argumentation nicht im Vordergrund steht. Es wäre ein Wunder, wenn er, aus der Not geboren, die Not der Partei wenden könnte."