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Pressestimmen von Dienstag, 11.Juni 2002

Stephan Stickelmann10. Juni 2002

Parlamentswahl in Frankreich / Afghanische Stammmesversammlung / Welternährungsgipfel in Rom

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Zahlreiche Tageszeitungen beschäftigen sich in ihren Kommentaren mit der ersten Runde der französischen Parlamentswahl. Beachtung finden ferner die Große Stammesversammlung in Afghanistan und der in Rom
tagende Welternährungsgipfel.

Zur Wahl in Frankreich bemerkt das NEUE DEUTSCHLAND:

"Es war ein schwarzer Tag für die politisch Roten. Insgesamt gelang es den Linksparteien nicht, die Mobilisierung gegen Le Pen bei der Präsidentenstichwahl in Engagement für die eigenen Reihen und Ziele umzumünzen. Dazu trug auch die unübersehbare 'Cohabitations'-Verdrossenheit der Franzosen bei. Sie wollen offensichtlich keine oft lähmende Zwangsehe mehr zwischen einem rechtsbürgerlichen Staatschef und einer linkspluralistischen Regierung. Und zu aller Überraschung entpuppte sich auch noch Chiracs unverbrauchter Ziehsohn Raffarin auf dem Premierposten, den der Sozialist Jospin so
sang- und klanglos aufgegeben hatte, als Glücksgriff."

Dennoch ist die BERLINER ZEITUNG skeptisch, was die politische Zukunft Frankreichs angeht. In dem Blatt heißt es nämlich:

"Der Gaullist Jacques Chirac ist trotz seiner neuen Machtfülle ein schwacher und verbrauchter Präsident. Das hat nicht nur mit den Korruptionsaffären zu tun, in die er verstrickt ist. Das hat vor allem damit zu tun, dass Chirac seit nunmehr vier Jahrzehnten auf der politischen Bühne Frankreichs präsent ist und niemand von ihm ernsthaft neue politische Impulse erwarten kann. Chirac steht für ein altes Frankreich. Es ist das Frankreich der ländlichen Beschaulichkeit, das Frankreich der nationalen Abgrenzung, das Frankreich der monarchischen Überheblichkeit. Es ist das Frankreich,
das so eigentlich nicht weiter machen kann."

An diesen Gedanken knüpft die FRANKFURTER RUNDSCHAU an und schreibt:

"Nichts hätte Frankreich nun nötiger als eine streitbare Opposition. Es geht nicht um eine zweifelhafte Sicherheit, wie sie Innenminister Nicolas Sarkozy mit Vorstadt-Razzien medienwirksam in Szene setzte. Es geht um eine gerechte Modernisierung des Landes, um weit reichende soziale Reformen. Premier Raffarin winkt mit der vagen Einladung zum Dialog. Präsident Chirac verspricht Steuersenkungen
für alle. Die Franzosen aber werden genau hinsehen, wen seine starke Regierung begünstigt. Wer heute der Macht misstraut, die aus der Urne kommt, könnte morgen auf die Macht der Straße setzen. Die hat in Frankreich oft genug auch starke Regierungen erzittern lassen."

Themenwechsel: Der BERLINER KURIER lenkt den Blick auf Afghanistan:

"Die Loja Dschirga, das große Stammestreffen in Kabul, wurde am Montag nicht eröffnet. Das ist kein gutes Zeichen. Es zeigt überdeutlich, wie stark die Gegensätze in Afghanistan noch immer sind. In Kabul stehen zwar internationale Truppen. Doch schon an der Stadtgrenze endet die Ruhe. In dem riesigen Land ist von dem relativen Frieden Kabuls nichts mehr zu spüren. Außerhalb herrschen
Warlords mit Willkür und Gewalt. Die Warlords haben kein Interesse an einer zentralen Ordnungsgewalt. Wie aber soll Ordnung einkehren, wenn sie nicht im ganzen Lande durchgesetzt werden kann? Jetzt zeigen sich die Anfangsfehler."

Ähnlich die Argumentation der MÄRKISCHEN ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder:

"Verlauf und Ergebnis der Stammesversammlung sind auch deshalb unkalkulierbar, weil über 20 Jahre Krieg die soziale Ordnung in Afghanistan schwer deformiert haben. Während sich in besseren Zeiten Stammesführer und Gelehrte zur Loja Dschirga zusammenfanden, wird diesmal nichts ohne die Kriegsherren laufen. Dass das Mandat für die internationale Schutztruppe zwar um weitere sechs Monate verlängert,
aber nicht auf die Provinzen ausgedehnt worden ist, stellt eine Kapitulation vor den Kriegsherren dar."

Abschließend ein Kommentar-Auszug aus der WESTFALENPOST in Hagen zum Welternährungsgipfel:

"Bereits beim Vorgängergipfel 1996 vereinbarten die
Teilnehmerstaaten, die Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Doch an der Situation hat sich in den vergangenen sechs Jahren nicht viel verändert: Noch immer haben 800 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Die Entwicklungshilfe für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit ist sogar gesunken. Dass die Industriestaaten den Hunger in der Welt von nun an hartnäckiger bekämpfen, scheint
jedoch unwahrscheinlich. Die Regierungschefs der reichen Nationen messen dem Gipfel noch nicht einmal so viel Bedeutung bei, dass sie persönlich in Rom erscheinen. Und dabei ist es eine Binsenweisheit, dass der Kampf gegen den Hunger die wirksamste Waffe gegen Terror wäre."