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Pressestimmen von Dienstag, 15.Januar 2002

zusammengestellt von Henry Bischoff14. Januar 2002

Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung

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Die Kommentare der deutschen Tageszeitungen stehen an diesem Dienstag ganz im Zeichen der Arbeitsmarktpolitik. Die Zeitungen reagieren mit zum Teil harscher Kritik auf die Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, den Niedriglohnsektor mit staatlichen Zuschüssen zu subventionieren.

Das HAMBURGER ABENDBLATT hält die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Regierung für bei weitem nicht ausreichend:

"Kombilohn heißt das neue Schlagwort. Immerhin, mit 10.000 bis 30.000 zusätzlichen Jobs rechnen Arbeitsmarktexperten bei einer bundesweiten Ausdehnung des so genannten Mainzer Modells. Das ist erfreulich für jeden Arbeitslosen, der dadurch wieder in Lohn und Brot kommt. Für den gesamten Arbeitsmarkt gesehen, beschränkt es sich allerdings auf den Show-Effekt, den der Wahlkämpfer Schröder im Auge hat. Einerseits soll Aktivität vorgetäuscht werden, andererseits werden die notwendigen tief greifenden Reformen des Arbeitsmarktes, der Sozialsysteme und der Steuergesetzgebung weiter auf die lange Bank geschoben."

Ähnlich wie das HAMBURGER ABENBLATT argumentiert auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, allerdings schärfer im Ton:

"Der Kanzler kapriziert sich zunächst auf ein 20 Millionen-
Euro-Programm zum Ausbau des Niedriglohnsektors. Noch einmal zum Nachlesen: 20 Millionen Euro! Programme dieser Größenordnung werden in normalen Zeiten im Finanzministerium vom Unterabteilungsleiter durchgewunken, heute beherrscht der Kombilohn Tage lang die Schlagzeilen - als letzter Strohhalm einer restlos vergurkten Beschäftigungspolitik."

Der SÜDKURIER erkennt in den Ankündigungen der Bundesregierung erste Anzeichen von Nervosität vor der Bundestagswahl:

"Interessant wird das Mainzer Modell vor allem dadurch, dass die Regierung mit der bundesweiten Ausdehnung des Kombilohn-Versuchs eingesteht, dass zusehen und Abwarten wohl doch nicht die richtige Politik zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit sind. Aber mit bescheidenen 50 Millionen Euro wird Schröder nur symbolisch aktiv. Er bekundet den Willen etwas zu unternehmen, ohne das Problem wirklich anzugehen."

Die AUGSBURGER ALLGEMEINE sieht keine Chancen, dass die Regierung ihre Arbeitsmarktbilanz bis zur Wahl noch aufbessern kann:

"Im Grundsatz setzen sie zwar an der richtigen Stelle an, die
konsequente Entrümpelung der Arbeitsmarktpolitik aber findet nicht statt. Des Kanzlers sorgsam gepflegtes Image als zupackender Modernisierer steht in seltsamem Kontrast zu seiner zaghaften Arbeitsmarktpolitik. Auf die Weltwirtschaft alleine kann er sich nicht herausreden, dazu sind die Defizite in Deutschland zu offensichtlich."

Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN machen hingegen nicht allein die jetzige Regierung für die Arbeitsmarktmisere verantwortlich:

"Es war zweifelsohne ein gravierender Fehler der Regierung, die Boom-Jahre nicht zu tief greifenden Reformen zu nutzen, die nun für die Zeit nach der Wahl angekündigt werden. Zu einer fairen Bilanz gehört aber auch der Hinweis, dass Rot-Grün trotz dieser Versäumnisse in drei Jahren einige Projekte in die Tat umgesetzt hat, von denen die Vorgänger- Regierung in 16 Jahren mit stets steigender Sockel-Arbeitslosigkeit allenfalls geredet hat."

Während die meisten Kommentatoren die Einführung des Kombilohns grundsätzlich begrüßen, ist die Kritik der Zeitung DIE WELT noch weitgehender:

"Das Beste, was sich über den Kanzlerplan sagen lässt, ist dies: Ein neues Übel ersetzt ein altes, 'Kombilohn' statt
'Arbeitsbeschaffungsmaßnahme'. Doch das eigentliche Problem bleibt. Der Staat treibt bei den Geringverdienern zu hohe Abgaben ein. Und wenn er demnächst einen Teil zurückgibt, entsteht ein widersinniger Kreislauf, der Arbeit nur in Amtsstuben schafft."

Auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG fordert wesentlich weitreichendere Reformen:

"Seit Jahren wird von den Ökonomen des Sachverständigenrats und von anderen Institutionen gepredigt, zur Behebung der Erwerbslosigkeit müsse der Arbeitsmarkt flexibler werden. Schröder hat jedoch dieses heiße Eisen mit Blick auf den linken Flügel seiner Partei und die Gewerkschaften bisher nicht angefasst. Er hat ganz offensichtlich darauf gebaut, dass der Abschwung zum Jahreswechsel einer Erholung Platz macht und mit dem Wachstum dann auch die Beschäftigung wieder zunimmt. Das ist jedoch nicht der Fall. Damit hat die rot-grüne Regierung ihr selbstgestecktes wirtschaftspolitisches Ziel
verfehlt."