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Pressestimmen von Dienstag, 17. April 2007

Bernhard Kuemmerling16. April 2007

Fall Oettinger

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Baden-Württembergs Regierungsschef Oettinger hat sich von umstrittenen Passagen in seiner Trauerrede für seinen Vorgänger Filbinger distanziert. Dabei geht es vor allem um die Formulierung, Filbinger sei ein Gegner des Nazi-Regimes gewesen. Er halte seine Formulierung nicht aufrecht, sagte Oettinger bei einer CDU- Präsidiumssitzung in Berlin.

Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND stellt fest:

"Der baden-württembergische CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger bleibt im Amt, aber er wird so schnell keine Rolle mehr auf der bundespolitischen Bühne spielen. Oettinger, der Anspruch erhebt, über die Grenzen des Ländle hinaus gehört zu werden, hat sich mit seinem Auftreten in den vergangenen Tagen selbst zum Provinzpolitiker zurückgestuft. Im innerparteilichen Ränkespiel der Union ist er bis auf weiteres kein Faktor mehr, mit dem gerechnet werden muss."

In der THÜRINGER ALLGEMEINEN ZEITUNG aus Erfurt heißt es:

"Die Wogen mögen sich glätten, aber hier spricht keiner, der von seiner groben Verfehlung überzeugt ist. Nicht Entschuldigung kann man das nennen, sondern Schadensbegrenzung. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Das eine wäre die Bereitschaft, einen Fehler auch einzugestehen, das andere ist nur das aus taktischen Gründen gebotene So-tun-als-ob. Der Ministerpräsident gewährte einen tiefen Blick in die Denkweise eines Teils der Union, der, offenbar kaum bemerkt, eine eigene Geschichtsschreibung betreibt. Nach dieser Logik war der einstige NS-Richter ein Gegner des Regimes und irgendwann wird ein Eichmann tatsächlich nur ein Beamter sein."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt:

"(...) Es gibt viele Gründe, sich über den gesamten Vorgang zu wundern. Erstaunlich ist zunächst einmal, wie elefantenhaft da ein führender Politiker durch die deutsche Geschichte und die seiner Partei getrampelt ist. Der Verweis auf falsche Berater ist eine denkbar schlechte Entschuldigung: Hätte Oettinger nicht gewusst, was er da sagte, wäre er für ein hohes Staatsamt schlicht und einfach disqualifiziert. Politisch verquer und instinktlos war dann auch die Verteidigungslinie, mit welcher Oettinger über die Runden zu kommen versuchte: Er wies zurück, was ihm gar niemand unterstellt hatte: dass er das diktatorische Hitlerregime verharmlosen oder verteidigen wolle."

Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER stellt fest:

"Die geballte öffentliche Meinung und Merkels öffentlicher Rüffel am Freitag haben Oettinger deutlich gemacht, wie stark er sich in seine geschichtsklitternde Würdigung Filbingers verrannt hatte. Zu spät allerdings, um ohne Beschädigung des Ansehens aus der Affäre herauszukommen, die weit über die Grenzen des Bundeslandes, ja sogar international Wirkung zeigte."

Der MANNHEIMER MORGEN kommentiert:

"Günther Oettinger hat endlich die Kraft gefunden, sich von seiner fatalen Filbinger-Trauerrede zu distanzieren. Viel zu spät zwar, aber immerhin räumt er seinen unerträglichen Missgriff ein, den früheren Marinerichter im Dritten Reich als Nazi-Gegner der inneren Emigration zu verklären. Diese geschichtsverdrehende Absolution hat einen immensen Flurschaden angerichtet. Ist damit nun ein Schlussstrich gezogen, wird man zur Tagesordnung übergehen können? Schließlich regiert jetzt in Baden-Württemberg ein Ministerpräsident, der mit dem Makel leben muss, es mit der historischen Wahrheit nicht so genau zu nehmen."

DER TAGESSPIEGEL aus Berlin meint:

"Oettinger hat bisher alles falsch gemacht. Und zwar in jeder Hinsicht. Die Trauerrede auf Filbinger durfte er so nie halten, auch nicht, um der Familie etwas Gutes zu tun. Und wollte er jetzt, im wiedervereinigten Deutschland nach überwundenen Diktaturen, die Frage nach dem richtigen Umgang mit Schuld und Sühne und Opfern neu aufwerfen, war es der falsche Anlass: nicht im Angesicht dieses Toten. Aber auch aus CDU-Sicht, aus baden-württembergischer zumal, verhält er sich grundverkehrt. Wenn er der Meinung ist, Filbinger sei ein Gegner des Regimes gewesen, warum steht er dann nicht dazu?"

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG aus München lesen wir:

"Es passt, dass Oettinger ausgerechnet von Merkel die Kopfnuss erhalten hat. Die Ostdeutsche hat den westdeutschen Dauerkonflikt über die Verbrechen der Väter und die Arroganz der Söhne nicht miterlebt. Für sie ist es selbstverständlich, dass der Marinerichter Filbinger kein NS-Gegner gewesen sein kann. Bei Oettinger ist das anders: Er hat über Filbingers Sarg eine Auseinandersetzung fortgeführt, die von Adenauers Globke über Erich Mendes Ritterkreuz bis zum zu späten Mut des SS-Sturmmannes Grass reicht."

Abschließend die NEUE RUHR/NEUE RHEIN-ZEITUNG aus Essen:

"Schwamm drüber, das geht in solchen Fällen nicht. Denn es bleibt ein übler Nachgeschmack. Es ist schon ein politisches Trauerspiel ganz besonderer Art, dass ein führender CDU-Politiker und regierender Ministerpräsident mehrere Tage und massiven politischen Druck benötigt, um seine historische Fehleinschätzung einzugestehen. Sturheit oder bewusste Geschichtsfälschung, was hat Günther Oettinger angetrieben? Für einen Landesvater sind beide Ursachen gleichermaßen disqualifizierend. CDU-Chefin Merkel hat mit ihrem öffentlichen Tadel nicht nur den politischen Schaden auf die Person von Günther Oettinger begrenzt. Sie hat damit der CDU die Grenze am rechten Rand gezogen."