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Pressestimmen von Dienstag, 18. Oktober 2005

Michael Wehling17. Oktober 2005

Ministerliste der Union für die große Koalition

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Die Vorstellung der Unions-Kandidaten für Ministerämter in einer großen Koalition durch die voraussichtliche Bundeskanzlerin Merkel sind d a s beherrschende Thema der Kommentare in den deutschen Tageszeitungen an diesem Dienstag.

Die in Berlin herausgegebene Tageszeitung DIE WELT merkt an:

'Das Kabinett steht. Pragmatisch, unideologisch, womöglich etwas blaß, mit nur ganz wenigen Ego-Shootern - so der erste Eindruck der Mannschaft, mit der Angela Merkel künftig regieren wird. Kann sie mehr sein als ein wandelnder Vermittlungsausschuß, in dem jedes Reformvorhaben kleindiskutiert wird? Die Chancen stehen besser, als der etwas zähe Start vermuten läßt.'

Die HEILBRONNER STIMME kritisiert die Nominierung von CSU-Vize Seehofer zum Agrar- und Verbraucherminister:

'Für die Kaiserkrone muss Angela Merkel nun auch noch einen Querulanten Seehofer am Kabinettstisch erdulden. Das ist für viele der Unionisten ein Schlag in die Magengrube. Ihnen wird signalisiert, dass nicht Parteidisziplin sondern Rebellion belohnt wird. Merken die CSU und die Bayern eigentlich, dass sie sich unter Stoibers Führung allmählich zur Lachnummer entwickeln?'

Die WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN aus Münster argumentieren ähnlich:

'Einen prima Einstand in Berlin bescherte sich Edmund Stoiber: Erst stieß der Bayer die Diskussion über die Richtlinienkompetenz der künftigen Kanzlerin an. Doch damit wischte er nicht Merkel eins aus. Er schoss ein Eigentor. Denn er brachte mindestens den CDU-Teil der Bundestagsfraktion gegen sich auf. Den CSU-Teil zu verärgern, das erledigte er dann konsequenterweise auch noch. Er boxte Horst Seehofer als Minister durch und schürte damit den Zorn der bayerischen Landesgruppe.'

In der BERLINER ZEITUNG heißt es:

'Wir werden erleben, wie Seehofer mit Ulla Schmidt gegen Steinbrück kämpft und Müntefering an der Seite von Stoiber gegen Merkel intrigiert. Allianzen werden über Kreuz geschlossen und es wird über Bande gespielt werden. Auch das muss nicht schlecht sein. Jedenfalls dann nicht, wenn daraus keine schlechten Angewohnheiten werden. Die schlechteste aller Angewohnheiten ist es, einen Konflikt so zu lösen, dass es keinem weh tut und den Steuerzahler viel Geld kostet. Diese Angewohnheit ist leider schon heute weit verbreitet.'

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf sieht Merkels Position gefestigt:

'Auf dem Höhepunkt ihrer Amtszeit waren die bundesdeutschen Kanzler fast so mächtig wie die direkt gewählten Präsidenten etwa Frankreichs und der USA. Angela Merkel kommt auf diesem Weg schnell voran: Franz Müntefering und Edmund Stoiber leiten die wichtigsten Reformressorts; ihr persönlicher Erfolg ist der des Gesamtkabinetts. Diese Minister können nicht mehr opponieren, sondern müssen die unter Merkels Vorsitz formulierte Politik vermitteln.'

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER notiert:

'Ein Kabinett ist keine Kuschelgruppe. Deshalb muss niemand Angela Merkel bedauern, weil auf den Ministerstühlen der CDU/CSU auch politische oder gar persönliche Widersacher sitzen werden. Zumal Merkel in ihrer CDU-Ministerriege Gewieftheit und Erneuerungs-Appeal, Fachkompetenz und taktisches Know-how bündelt, den Regionalproporz wahrt und sich obendrein persönlicher Loyalität vergewissert. Zusammen mit der SPD-Hälfte geht eher ein Kabinett gewichtiger Pragmatiker denn visionärer Luftikusse an den Start.'

Die Berliner Tagesteitung TAZ analysiert den Politikstil der künftigen Kanzlerin:

'Merkel versteht es wie kaum eine andere politische Figur, Demütigungen auszuhalten, allein gegen alle zu kämpfen und Rivalen gegeneinander auszuspielen. Immer wenn es darauf ankam, schreckten die Stoibers, Wulffs und Kochs davor zurück, sie vom Thron zu stürzen - sogar nach ihrem miserablen Wahlergebnis im September. An der Zögerlichkeit der Unionsmänner dürfte sich nichts ändern. Im Gegenteil: Merkels Autorität wächst - trotz allem. Bis die Union - aber auch die SPD - eine selbst gewählte Regierungschefin absägt, muss viel passieren.'

Quasi ein Resumee zieht der ebenfalls in Berlin erscheinende TAGESSPIEGEL:

'Eines steht fest: Langweilig wird es bei Angela Merkel am Arbeitstisch nicht. Es ist kein Kabinett der Ja-Sager, mit dem die künftige Kanzlerin die Republik regieren will. Von korrekt bis potenziell illoyal finden sich alle Grundeinstellungen. Die wenigsten ihrer Minister konnte sie sich frei aussuchen. Innerhalb der CDU waren Länderproporze zu beachten. Jede Partei setzte, wie in Koalitionen üblich, ihre Akzente nach eigenem Ermessen. Die SPD tat das als erste und durchaus überzeugend. Die CSU, eigenständig, wenn es sich auszahlt, entsendet zwei weniger pflegeleichte Kandidaten, die nun noch stärker ihre persönlichen Kampfzonen über Bayern hinaus ausweiten können. Bei manchem dürfte die Regierungschefin kalkulieren, es sei besser, ihn künftig vor sich als im Rücken zu haben.'