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Pressestimmen von Dienstag, 22. Juni 2004

Martin Muno21. Juni 2004

SPD in der Krise

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Im Blickpunkt der Kommentatoren steht an diesem Dienstag die Grundsatzrede, mit der SPD-Chef Franz Müntefering versuchte, seine nach den jüngsten Wahlniederlagenden demoralisierten Parteigenossen aufzurichten. Unter Bezugnahme auf Münteferings Aufruf, mehr Kampfgeist zu zeigen, bemühen mehrere Zeitungen das Bild vom 'Pfeifen im dunklen Walde'.

Zur Krise der SPD schreibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Jetzt haben es die Genossen schriftlich - das aktuelle Glaubensbekenntnis des Franz Müntefering. Die SPD wird immer noch gebraucht, die Opposition schadet dem Land, der Weg zu neuer Stärke führt auch über Disziplin, das Nähere regeln allerlei Parteikommissionen: Gut gemeint, aber doch etwas schlicht ist das für eine an sich selbst zweifelnde Partei."

Die in München erscheindende TZ sieht die SPD in der Zwickmühle:

"Augen zu und durch? Oder die Reformen zurückschrauben und völlig unberechenbar dastehen?"

Das HANDELSBLATT bemerkt:

"In der Sache kann die SPD ihre Politik nicht ändern, wohl aber in der Form. Nicht auf den Inhalt der politischen Botschaft kommt es für die Partei jetzt an, sondern auf die Verpackung. Das hat der SPD-Chef offenkundig verstanden. Deshalb streichelt er neuerdings wieder die sozialdemokratische Seele: Die 'Reichen' sollen hohe Beiträge in die Bürgerversicherung zahlen, die Konzerne höhere Mindeststeuern abführen. Solche Pläne mögen bei SPD-Linken populär sein, politisch realistisch sind sie nicht."

Ähnlich heißt es im MANNHEIMER MORGEN:

"Mindestlohn, Mindestgewinnbesteuerung für Firmen und Erbschaftssteuer heißen die Stichworte. Ob damit allerdings die frustrierten Arbeitslosen, Rentner und Kleinverdiener wieder zurück in den Schoß der Partei geholt werden können, ist fraglich."

Das NEUE DEUTSCHLAND fragt ganz grundsätzlich:

"Die SPD wird gebraucht, dessen ist sich Franz Müntefering sicher. Aber wofür? Das noch schmerzende Wahldesaster ließ den einen oder anderen Sozialdemokraten durchaus zweifeln. Der Widerspruch zwischen dem Anspruch, die soziale Marktwirtschaft retten zu wollen, und dem Preis, der dafür ausgerechnet von den sozial Bedürftigsten abgefordert wird, ist mit optimistischen Zukunftsvoraussagen nicht zu überbrücken. Sozialabbau professioneller zu gestalten als die Konservativen ist ein zweifelhafter Anspruch für Sozialdemokraten. Und Münteferings Ankündigung, seine Partei sei 'mit ihrer Mission noch nicht am Ende', klingt mittlerweile wie eine Drohung."

Die in Chemnitz herausgegebene FREIE PRESSE sieht die SPD in einer existenziellen Krise:

"Die beklemmende Angst, der eigenen Identität nicht mehr entsprechen zu können, ihr auch nicht mehr gewachsen zu sein und deshalb vom Wähler in die Niederungen der politischen Bedeutungslosigkeit gestoßen zu werden, ist enorm. Doch sie entspricht ja bereits den Realitäten."

In der OSTSEE-ZEITUNG heißt es:

"Die seit sechs Jahren im Bund regierende SPD gleicht einer Selbsthilfegruppe, die - tief traumatisiert wegen anhaltender Wählerverluste - auf Selbstheilung hofft. Parteichef Franz Müntefering gibt dabei eine Art Psychotherapeuten, der den verunsicherten Genossen Selbstvertrauen einzuimpfen versucht. Allerdings fällt dem Seelenmasseur der SPD auch nicht viel mehr ein als den Machtinstinkt zu aktivieren. Wir wollen regieren und haben auf Opposition keine Lust."

In den STUTTGARTER NACHRICHTEN lesen wir:

"Müntefering symbolisiert eine ratlose Partei im Übergang - von Träumereien zu Reformen. Immer wahrscheinlicher auch - von der Regierung zur Opposition. Noch steht nicht fest, ob Müntefering der Gestalter dieses Übergangs sein will - oder ob er doch nur eine Übergangslösung ist."

Sicher im Sattel sitzt nach Ansicht der RHEINPFALZ nur der Kanzler:

"Aber auch wenn die SPD nach der Serie von Wahlniederlagen zwischen Panik und Resignation taumelt, Gerhard Schröder muss sich momentan nicht darum sorgen, dass ihn seine Partei vorzeitig aufs Altenteil schickt. Und sei es nur, weil sie keine Alternative hat."

Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist das sozialdemokratische Seelenleben zur Zeit diffus:

"Die SPD erwacht aus ihrem Schock und quält sich. Wie sozialdemokratische Funktionäre und Mitglieder sich zum Kanzler Schröder stellen, kann man nicht als Aufstand beschreiben. Es fehlt die Aggressivität. Die Emotionen gehören, wie es scheint, eher in das Gefühlsspektrum der Verzweiflung. Deren andere Seite ist die Hoffnung, die so unübersehbar an den Parteivorsitzenden Müntefering geheftet wird - was man von ihm erwartet, ist eigentlich ein Wunder."