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Pressestimmen von Dienstag, 23. Mai 2006

Frank Wörner 22. Mai 2006

Verfassungsschutzbericht 2005 / Köhler-Rede auf DGB-Kongress

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Auf dem Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat Bundespräsident Köhler die Arbeit der großen Koalition in zentralen Punkten kritisiert. Seine Rede ist ebenso Thema in den Kommentaren der deutschen Tageszeitungen wie die Zunahme der Fälle rechter Gewalt, die der Verfassungsschutzbericht 2005 ausweist.

Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU befasst sich mit den rechtsextremistischen Straftaten. Dort heißt es:

"Deutsche anderer Hautfarbe und Menschen mit fremdartigem Aussehen müssen in diesem Land leider auf der Hut sein. Bestimmte Ausflugsgebiete im Osten meiden sie. So geht das seit Jahren, aber besonders oft wird es nicht thematisiert. Auch diesmal sind es nicht etwa erschreckende Zahlen, die uns wachrütteln, sondern einige Vorkommnisse. Zumindest eines hat aufgehört: Die Behauptung vom bösen Einzelfall ist nicht mehr in. Vielleicht kann daraus ein Neuanfang werden."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt:

"Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye muss sagen dürfen, was schlicht Realität ist: dass die Gefahr, als nicht deutsch aussehender Mensch in Brandenburg überfallen zu werden ungleich höher ist als im Westen. Der Rechtsradikalismus ist ein Problem, das viele zu lange durch Wegschauen und Schönreden lösen wollten, mit weißer Salbe, die nicht gewirkt hat. Es ist höchste Zeit, ihn als das zu begreifen, was er ist: ein Phänomen, das eine Vielzahl von Jugendlichen in den neuen Ländern infiziert hat. Diese Wahrheit darf nicht länger verdrängt werden."

Ähnlich äußert sich die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz.

"Der Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten liegt nach wie vor im Osten, liegt dort, wo die braune Vergangenheit dieser Nation nie aufgearbeitet wurde. Mit mehr Polizei ist dem Phänomen nicht beizukommen. Der Schlüssel liegt in der Schule, liegt im Elternhaus. Demokratie lässt sich lernen, aus der Geschichte lassen sich die richtigen Schlüsse ziehen. Die Zahlen zeigen, dass die Arbeit noch längst nicht beendet ist."

Das HANDELSBLATT geht auf die Diskussion um Bereiche ein, aus denen sich Farbige nach Einschätzung einiger Politiker fernhalten sollten:

"Auf eine Feststellung des Bundesministers des Inneren wartete man vergebens: Es gibt sie, diese No-go-Areas für Schwarze in Deutschland. Und es gibt sie vor allem in Ostdeutschland. Stattdessen floh Schäuble in die ebenso zutreffende wie schwiemelnde Auskunft, dass für solche Feststellungen die Länder zuständig seien. Doch diese sagen, dass im Wesentlichen alles prima sei zwischen Rügen und dem Erzgebirge. Und dass man doch bitteschön keine neue Ost-West-Debatte anfachen solle. Warum eigentlich nicht?", fragt das HANDELSBLATT.

Die "NEUE RUHR/NEUE RHEIN-ZEITUNG" mahnt:

"Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, 'ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt'. So steht es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Man kann die Innenminister von Bund und Ländern gar nicht oft genug daran erinnern. Denn es ist ihre Zuständigkeit, ihre Aufgabe, die Polizei so zu führen, dass etwa keine No-Go-Areas entstehen - und nicht allein während der Fußball-WM."

Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG geht auf die Rede des Bundespräsidenten vor den Delegierten des Deutschen Gewerkschaftsbundes ein:

"Horst Köhler hat grundsätzlich Recht: Zusätzliche Steuereinnahmen sollten vorrangig zur Senkung der Lohnnebenkosten und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen dienen. Keine Frage, der Bundespräsident ging vor dem DGB-Kongress bis an die Grenze des für die Regierung Zumutbaren. Doch hier heißt es für Union und SPD, die Ruhe zu bewahren: Das Ansehen des hohen Amtes darf nicht durch unpassende Kritik beschädigt werden."

Die Chemnitzer FREIE PRESSE sieht einen ungewöhnlichen Schulterschluss:

"Die Gewerkschaftsvertreter und das konservative Staatsoberhaupt waren sich bedeutend näher als vermutet. Das war überhaupt die Überraschung des ersten Auftritts eines Bundespräsidenten auf einem Kongress des Gewerkschaftsbundes. Die große Koalition macht es möglich."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER stellt hingegen fest:

"Der Vorgang ist bemerkenswert und ungewöhnlich. Zwar ist der Ton moderat, aber die Botschaft lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Bundespräsident Horst Köhler geht in dem ihm möglichen Rahmen auf deutliche Distanz zur Bundesregierung. Deren Entscheidung, die Mehrwertsteuer zum Jahreswechsel um gleich drei Punkte auf 19 Prozent anzuheben, ist in den Augen des Staatsoberhauptes falsch. Auch Wirtschaft und Gewerkschaften halten den Steuerkurs der Regierung für grundlegend falsch. Aber die Koalition ist taub auf diesem Ohr."

Ähnlich äußert sich die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam:

"An Kritik an den Steuererhöhungsplänen hat es wahrlich nicht gemangelt. Dabei ist deutlich geworden, dass Schwarz-Rot sich von diesem falschen Kurs nicht abbringen lässt. Eine laute Schelte des Präsidenten hätte daran auch nichts mehr geändert."

In der FRANKFURTER NEUEN PRESSE heißt es:

"Der Bundespräsident hat sich lautstark zurückgemeldet und der Regierung die Leviten gelesen. Völlig zu Recht erinnerte der Präsident an seine einstige Forderung 'Vorfahrt für Arbeit', die auch von der großen Koalition bislang nicht eingelöst worden ist. Zaubern kann zwar auch die schwarz-rote Koalition nicht, aber sie müsste bessere Rahmenbedingungen schaffen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen könnten."

Und das HANDELSBLATT schreibt:

"Ein halbes Jahr hat das Staatsoberhaupt geschwiegen zur rot-schwarzen Wirtschaftspolitik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Erst jetzt reagiert Köhler auf die kläglichen, teilweise kontraproduktiven Kompromisse zwischen SPD und Union. Wer so spät kommt wie Köhler, den bestraft die große Koalition. Die in dieser Form konjunkturschädliche Mehrwertsteuererhöhung ist beschlossene Sache, das bürokratielastige Antidiskriminierungsgesetz auch. Doch besser spät als nie."