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Pressestimmen von Dienstag, 24. April 2007

Christoph Schmidt 23. April 2007

Präsidentenwahl in Frankreich / Jelzin ist tot

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Überraschend an der Präsidentenwahl in Frankreich war die hohe Beteiligung der Stimmberechtigten - das Ergebnis dagegen kaum. Als Sieger im ersten Wahlgang tritt der Konservative Sarkozy in einer Stichwahl am 6. Mai gegen die Sozialistin Royal an. Dabei hängt alles von den Stimmen der Mitte ab. Ein weiteres Thema dieser Presseschau ist das Echo auf den Tod des früheren russischen Präsidenten Boris Jelzin.

Die Zeitung DIE WELT aus Berlin meint zur Wahl in Frankreich:

"Die Franzosen haben schon jetzt ein beachtliches Ergebnis erzielt. Sie haben der Rechtsextremen eine Abfuhr erteilt, die Kommunisten zur Splitterpartei schrumpfen lassen und sich für den Wandel entschieden. Die Kandidaten müssen nun erst einmal ihren Platz in der Mitte suchen und den Wähler dort mit allen Mitteln umkosen. Das wird dazu führen, dass sich beide im Weichzeichner zeigen, sogar angleichen. Wer sich durchsetzen wird, ist nicht abzusehen. Im Unterschied zum ersten Wahlgang wird das Duell spannend werden."

In der STUTTGARTER ZEITUNG heißt es zu den Erwartungen der Bürger:

"Stellt sich die Frage, was für einen Wandel der französische Wähler wünscht. Sicherlich soll es einer sein, der nicht wehtut. Dies versprechen die Sieger der ersten Wahlrunde. Den französischen Traum hat Sarkozy in der Wahlnacht beschworen und versichert, die gesellschaftlich Schwachen könnten sich von ihm Schutz erhoffen. Wie sich dies mit niedrigeren Löhnen und freierem Wettbewerb vereinbaren lässt, ist sein Geheimnis. Royal wiederum hat den sozial Benachteiligten Wohltaten versprochen, die den Staat 35 Milliarden Euro kosten würden. Wie sie das bezahlen will, hat sie nicht gesagt."

Die OST-THÜRINGER ZEITUNG aus Gera bemerkt:

"Das schlechte Ergebnis Le Pens unterstreicht, dass die Franzosen mehr hören wollen als vollmundige Reden. Doch bis zur Stichwahl wird ihnen wohl kaum anderes geboten. Die beiden Kandidaten Sarkozy und Royal haben noch am Wahlabend ihren Lagerwahlkampf eröffnet. Die Sozialisten haben Stimmen aus den anderen Lagern bitter nötig, denn zusammen hatten am Sonntag alle ihre Kandidaten nur rund 35 Prozent erzielt. Ihr Wahlkampf gegeneinander war sicher eine Ursache. Die Zurückhaltung gegenüber einer Frau als Frankreichs Präsidentin vielleicht ebenfalls."

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt befasst sich mit den Aussichten für Royals Rivalen:

"Nicolas Sarkozy wird es gar nicht gern hören, dass ihm Umfragen bereits den Sieg bei der Stichwahl versprechen. Denn das könnte seine Anhänger animieren, bei der Entscheidung zu Hause zu bleiben, während die Einwanderer, die er als 'Gesindel' bezeichnet hatte, ihn an den Urnen verhindern will. Mit dieser Äußerung sichert sich der bisherige konservative Innenminister jedoch die 3,8 Millionen Stimmen der extremen Rechten."

Themenwechsel: Er war die prägende Figur für die Entwicklung Russlands in der Umbruchphase nach dem Kalten Krieg - der frühere Präsident Boris Jelzin ist im Alter von 76 Jahren offenbar an einem Herzversagen gestorben. Bundeskanzlerin Merkel würdigte Jelzin als 'Kämpfer für die Freiheit' und 'wahren Freund Deutschlands'. Mit Blick auf die heutige Situation in Russland fallen die Nachrufe in der deutschen Tagespresse zum Teil kritischer aus.

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg bemerkt:

"Boris Jelzin war der letzte Rock'n'Roller aus dem Kreml. Und das ist nur vorderhand eine positive Charakterisierung. Jelzin war ein von sich selbst überzeugter Autokrat, aber mit Charme. Ebenso kaltschnäuzig wie er die Panzer gegen Gorbatschow stoppte, überließ er die Staatsbetriebe einigen wenigen raffgierigen Oligarchen, förderte durch demonstratives Wegschauen die Korruption im Land und trieb Russland in den 90er Jahren gleich zweimal an den Bettelstab. Das alles so kam, wie es denn kam, ist vor allem Jelzin zu verdanken."

Der WIESBADENER KURIER vergleicht den Ex-Präsidenten mit seinem Nachfolger:

"Nicht Jelzin sondern erst sein Nachfolger Putin hat die zentralistisch-diktatorischen Traditionen des Sowjetregimes wieder zu Ehren gebracht. Statt des Ex-Parteifürsten regiert heute der Ex- Geheimdienstler das Land. An die Stelle spontaner Willens- und Wutausbrüche ist die leise, effektive, unbarmherzige Kontrolle getreten. Boris Jelzin, das wird man ihm nachrufen dürfen, hatte sich trotz aller Widersprüche und burlesken Exzesse wahrscheinlich mehr vom Sowjetsystem gelöst als der lupenreine Demokrat Putin."

Ähnlich urteilt die KÖLNISCHE RUNDSCHAU.

"Ganz bewusst setzte Putin nicht auf Kontinuität, sondern grenzte sich von Jelzins Erfolgen immer stärker ab. Praktisch jede Reform des Vorgängers - Pressefreiheit und Abbau der Geheimdienst eingeschlossen - nahm Putin zurück. Als Staatsdoktrin gilt heute, dass von 1991 bis 1999 in Russland ausschließlich Schlechtes regierte. Alle Ansätze zur Marktwirtschaft und ein partnerschaftlicher Umgang mit westlichen Helfern sind als Beispiele für die Schwächephase des Kreml längst zu den Akten gelegt."

Die LANDESZEITUNG aus Lüneburg sieht in Jelzin dagegen den Wegbereiter der aktuellen Verhältnisse:

"Der autokratische Staat lässt Oppositionelle brutal niederknüppeln. Kritiker werden Opfer professioneller Killer. Jelzin stieg als Kind der Unordnung auf und entfesselte das Chaos. Sein Erbe begünstigte Russlands Rückkehr zum autoritären Staat. Jelzin regierte bonapartistisch, gab Russlands Reichtum zur Plünderung frei. Die sozialen Verwerfungen der Jelzin-Ära haften der vermeintlich ursächlichen Demokratisierung dauerhaft als Makel an. Nachfolger Putin hatte leichtes Spiel, seine Vorstellung eines starken Staates zu verwirklichen."