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Pressestimmen von Dienstag, 24. Oktober 2006

Herbert Peckmann 23. Oktober 2006

Deutsche Auswanderer in der Kritik / Schröder-Memoiren sorgen für Wirbel

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Die Zahl der deutschen Auswanderer ist so hoch wie seit 50 Jahren nicht mehr: 2005 wurden offiziell 145.000 Wegzüge registriert. Dies beklagt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Dieses Thema und der Wirbel um die Memoiren von Alt-Kanzler Schröder finden sich in den Kommentarspalten der deutschen Tagespresse.

Zunächst zu Kritik an der Zahl der Auswanderer. Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam schreibt:

"Fachkräftemangel, Ausbluten der Unternehmen, das sind die Stichworte. Schuld soll die Politik mit ihren standortschädigenden hohen Steuern und Abgaben sein, ein nicht völlig unerwartetes Lamento. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Denn verantwortlich für Auswanderungen aus finanziellen Gründen sind in erster Linie die Unternehmen selbst ... ."

Der in Bayreuth erscheinende NORDBAYERISCHE KURIER konstatiert:

"Jungen Menschen wird der Berufseinstieg nicht leicht gemacht. Die Generation Praktikum weiß ein Lied davon zu singen. Schlechte Bezahlung für gute Arbeit ist da die Regel und sorgt für Enttäuschung, ja Entmutigung. Massenentlassungen tun ihr Übriges, positive Perspektiven zu zerstören."

Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz meint:

"Es sind unter den modernen Auswanderern viele - zu viele! - die, jung an Jahren, mit einer hoch qualifizierten Ausbildung das Land verlassen, dessen Solidargemeinschaft ihre Bildung ermöglicht hat und deshalb zumindest moralisch einen Anspruch auf Gegenleistung hätte. Der aber ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht einklagbar und deshalb nur ein frommer Wunsch."

Die Kölner Boulevardzeitung EXPRESS resümiert:

"Was haben uns die Politiker nicht alles versprochen in den letzten Jahren. Viel war da von neuer Freiheit und Aufbruchstimmung die Rede. Kaum ausgesprochen, wich die Euphorie schnell der Ernüchterung. Denn gute Ideen werden in Deutschland meist zerredet oder bis zur Unkenntlichkeit durch den parteipolitischen Fleischwolf gedreht. Damit schafft man kein Vertrauen in eine bessere Zukunft in Deutschland."

Zu diesem Thema schließlich noch das BADISCHE TAGEBLATT:

"Nicht selten ist es der Fall, dass die vorhandenen jungen und qualifizierten Kräfte von den Unternehmen nicht mehr angeboten bekommen als schlecht oder sogar gänzlich unbezahlte Praktika über Monate hinweg. Wer etwas mehr Glück hat, darf sich nach dem Universitätsabschluss über befristete Verträge freuen mit einer Entlohnung, für die wohl kaum ein deutscher Arbeiter auch nur einen Finger krumm machen würde. Wer künftig die gut Ausgebildeten im Land beziehungsweise im eigenen Unternehmen halten will, muss ihnen schon heute eine vernünftige Perspektive bieten mit ordentlichen Arbeitsverträgen, Aufstiegschancen sowie einer der Ausbildung angemessenen Entlohnung."

Themenwechsel. Die bereits in Auszügen veröffentlichten Memoiren von Altkanzler Schröder sorgen weiter für heftige Diskussionen. Im SÜDKURIER aus Konstanz heißt es:

"Wenn man die bereits veröffentlichten Buchpassagen zu Grunde legen darf, muss die Geschichte von Rot-Grün nicht neu geschrieben werden. Schröder schildert, was jeder weiß oder zumindest ahnte: Dass ihm Lafontaine gleichgültig ist, dass ihm Angela Merkel wenig imponiert, Wladimir Putin dagegen sehr. Aufschlussreicher ist die Schelte für SPD-Linke und Gewerkschaften. Dort sieht der Altkanzler zu Recht die Ursachen für sein Scheitern."

Ebenso beurteilen dies die LÜBECKER NACHRICHTEN, auch mit Blick auf kritische Bemerkungen einiger Gewerkschafts-Spitzenvertreter. Zitat:

"Peters, Bsirske, Engelen und wie sie alle heißen hatten zu keinem Zeitpunkt ein Interesse an einer Kanzlerschaft Gerhard Schröders oder gar an deren Fortdauer nach der Gottseibeiuns Agenda 2010. Schon gar nicht durfte diese Politik erfolgreich sein, wie hätte man denn dann dagestanden mit all seinem Protest, mit all seinen Verwünschungen. ... Die jetzige Empörung ... gehört in die Kategorie der gespielte Witze, lächerlich."

Etwas zurückhaltender kommentiert das Düsseldorfer HANDELSBLATT:

"Dass Schröder ... wenig Rücksicht auf Verluste in den eigenen Reihen nimmt, hat er schon als Kanzler bewiesen. Und auch jetzt zuckt die SPD-Hälfte der Regierung zusammen, wenn er freimütig und wie nebenbei den mühsam beschlossenen Gesundheitsfonds als bürokratisches Monstrum bezeichnet. Gerade weil dies auch viele Abgeordnete der Regierungsfraktionen klammheimlich denken, ist die Kritik gefährlich."

Die FREIE PRESSE CHEMNITZ merkt an:

"Dass Schröder nun seine Sicht über den Ablauf der Geschehnisse schildert, kann ihm nicht verübelt werden. ... Seine öffentlichen Anwürfe gegen die aktuelle Bundesregierung im Allgemeinen und die Kanzlerin im Speziellen geziemen sich freilich nicht. ... Daran hat sich Schröder - im Gegensatz auch zu dessen Vorgänger - leider nicht gehalten."

Der WIESBADENER KURIER erwartet keine Nachhaltigkeit der Schröder-Memoiren. Das Blatt schreibt:

"So kurzfristig - kaum ein Jahr nach dem Abschied des Kanzlers - das Werk auf den Markt kommt, so kurzatmig drohen freilich seine Wertungen auszufallen. Zu frisch beispielsweise Schröders Zorn auf die aufmüpfigen Gewerkschafter, zu distanzlos sein Urteil über Russlands Präsidenten Putin!"

Zum Schluss noch der BERLINER TAGESSPIEGEL:

"Da verklärt einer nach doch relativ kurzer Abstinenz seine Zeit selber zur Ära, beschreibt einer, wie sehr ihn immer das Staatsmännische geleitet hat. ... Alles eine Sache der Interpretation, und wenn man die selber leisten kann - Schröder will das Geschichtsbild prägen, bevor sich die Geschichte, sprich: ihre Schreiber, ein Bild gemacht hat."