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Pressestimmen von Dienstag, 25. April 2006

Thomas Grimmer 24. April 2006

CDU und SPD starten Debatte über neue Grundsatzprogramme

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Mit neuen Grundsatzprogrammen wollen sich die beiden großen Volksparteien CDU und SPD deutlicher voneinander abgrenzen. Die Kommentatoren der deutschen Tagespresse hinterfragen zum einen Sinn und Zweck solcher Grundsatzdebatten. Zum anderen beschäftigen sie sich mit der erneuten Äußerung des designierten SPD-Chefs Beck, der Staat brauche mehr Geld, um seine Zukunftsaufgaben erfüllen zu können.

Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU bemerkt zum Beginn der Grundsatzdebatten:

"In Zeiten der großen Koalition neigen die Parteien zu innerer Unruhe, weil der stete Zwang zum Kompromiss die eigene reine Lehre in den Hintergrund drängt. Insofern sind Programmdebatten eine sinnvolle Beschäftigungstherapie. Dennoch steckt auch viel inhaltliche Notwendigkeit in diesen Theoriedebatten. In Zeiten eines rasanten globalen Umbruchs müssen sich die Parteien neu auf ihre Aufgaben, Grundwerte und Standorte besinnen."

Das STRAUBINGER TAGBLATT bezweifelt demgegenüber die Notwendigkeit derartiger Diskussionen:

"Sind CDU und SPD nur wenige Monate nach der Bildung einer großen Koalitionsregierung so orientierungslos, dass sie jetzt fragwürdige Programmdebatten in Gang setzen? Statt den ziemlich dürftigen und zu viele Probleme außer Acht lassenden Vertrag für diese Wahlperiode als Lastenheft zu verstehen und Punkt für Punkt abzuarbeiten, machen sich Christ- und Sozialdemokraten auf den Weg, die politische Zukunft zu erkunden. Wollen sie etwa von Defiziten ablenken? Bei den nächsten Wahlen werden sie (...) die Quittung für die erkennbare Untätigkeit und die Flucht vor der Verantwortung erhalten."

Der Leitartikler der MÄRKISCHEN ALLGEMEINEN aus Potsdam sieht die Programmkommissionen im Dilemma:

"Programmkommissionen haben es heute nicht mehr leicht. Sie müssen ihre Parteien attraktiv machen für Wähler, die sich kirchlich trauen lassen, den Müll trennen, niedrige Steuern fordern und mehr Investitionen in Bildung und Betreuung - und all das gern auf einmal. Wo sich aber die sozialen Kondensationskerne vormaliger Lager vermischen, bleibt den Parteien - vor allem den großen - nicht viel mehr übrig, als so konkret wie unbedingt nötig und so wolkig wie möglich ihre Milieus an sich zu binden. Mit feinen Nuancen im Menschenbild: Die einen wollen den Sozialstaat als Halteseil in der Not, die anderen als Aufzug."

Die ESSLINGER ZEITUNG würde mehr Trennschärfe zwischen den beiden Volksparteien begrüßen:

"Gewiss müssen sich die verschiedenen Lager nicht jeden Tag aufs Neue blutig fetzen. Ein bisschen weniger Verwechselbarkeit aber täte den Parteien gut. So kommt es für die SPD darauf an, den Ruf als linke Volkspartei neu zu fassen, will sie den personellen und inhaltlichen Verlust an die Linkspartei nicht auf Dauer hinnehmen. Auch die Union (...) muss sich im Zweckbündnis Große Koalition neu justieren. (...) Dass keine Seite die Wahrheit gepachtet hat, weiß man sowieso."

Die Aussage des künftigen SPD-Chefs Kurt Beck, der Staat benötige mehr Geld, um seine Aufgaben zu finanzieren, stößt bei den Leitartiklern auf wenig Gegenliebe.

Die BERLINER ZEITUNG sieht die Sozialdemokraten vor größeren Aufgaben:

"Als linke Volkspartei muss die SPD verhindern, dass sich auch im Westen links von ihr eine dauerhafte Konkurrenz etabliert. Die soziale Mitte ist gegen eine Kanzlerin zu behaupten, die ihre neoliberalen Reformpläne längst ad acta gelegt hat. Aus der Position dazwischen sind Wahlen nicht leicht zu gewinnen. Ein neues Programm kann vielleicht helfen - wenn es am Ende mehr ist als ein Programm zur Steuererhöhung."

Die Chemnitzer FREIE PRESSE warnt die SPD davor, ihren Anhängern etwas vorzumachen:

"Die Sozialdemokraten (...) wollen endlich die Schröder-Ära mit der Agenda 2010 hinter sich lassen, in der der ältesten deutschen Volkspartei die Mitglieder in Scharen davon gelaufen sind. Dabei sollten sie nicht versuchen, Mitgliedern und Wählern ein X für ein U vorzumachen. Die Bevölkerung hat inzwischen gelernt, das Kleingedruckte auch bei Parteiprogrammen zu lesen. Sie weiß, dass ein 'vorsorgender Sozialstaat', den die SPD sich als Leitbild gewählt hat, nichts anderes bedeutet, als den Bürgern erneut in die Tasche zu langen."

Die AUGSBURGER ALLGEMEINE wünscht sich eine Steuerdiskussion, die den Namen Grundsatzdebatte auch verdient:

"Natürlich ist es zu begrüßen, wenn sich eine Partei, zumal eine Regierungspartei, bei der Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogrammes Gedanken über das Steuersystem macht. Aber die SPD führt die falsche Debatte: Es geht nicht um Steuererhöhung, sondern um eine wirkliche Reform des Steuer- und Abgabesystems, die Deutschland im internationalen Wettbewerb wieder fit macht. Darüber lohnt sich der Streit."

Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG meint schließlich:

"Bei der SPD ist Kurt Beck als zweitdienstältester SPD-Chef der Neuzeit - also der Nach-Basta-Ära - als Käpt'n zu Gange. Er tutet ganz laut, um sicheres sozialdemokratisches Fahrwasser zu finden. Ob der eingeschlagene Kurs in Richtung vorsorgender Sozialstaat geradlinig nach vorn, im Zickzack ins Nirgendwo oder klammheimlich zurück in den demokratisch-sozialistischen Hafen führt, ist derzeit nebulös. (...) Seine Kurs-Empfehlungen sind eine wildromantische Mischung aus Voran ins Reformland bei sozial verträglichstem Tempo. Wenn das gut ginge, dann hätte die SPD das Schlimmste aus Schröders Zeit der unverstandenen Reformen überwunden. Es könnte sich aber auch nur um eine Art Kaffeefahrt nach Schlaraffenland handeln."