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Pressestimmen von Dienstag, 25. Oktober 2005

Arian Fariborz 24. Oktober 2005

Präsidentenwahl in Polen / Unionsstreit um Wirtschaftsministerium

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Der Rechtsruck in Polen nach der Präsidentenwahl sowie der Streit um Edmund Stoibers Wirtschafts- und Technologieressort sind einige der Themen, die die Kommentatoren der deutschen Tagespresse beschäftigen.

Nun ist es amtlich: Die staatliche Wahlkommission Polens hat das Endergebnis der Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben: Der Nationalkonservative Lech Kaczynski hat die Wahl klar für sich entschieden. Kritisch beurteilt das HANDELSBLATT aus Düsseldorf das Wahlverhalten vieler Polen:

"Das Wahlergebnis zeigt auch, dass Freiheit noch nicht mit Demokratiebewusstsein gleichzusetzen ist. Gerade die Erfolgreichen, die weltoffen denkenden Gewinner des Reformprozesses haben sich die Freiheit genommen, nicht zur Wahl zu gehen, weil sie die politische Klasse für miefig und wenig professionell halten und deshalb verachten. Sie empfinden Politik als störenden Faktor auf ihrem Karriereweg. Doch gerade für sie ist das Wahlergebnis eine Niederlage, weil sie nun mit einer Staatsführung leben müssen, die eben nicht ihrem Lebensstil entspricht. Es wäre ein großer Fehler, wenn der Westen und die EU Polen wegen dieses Wahlergebnisses ausgrenzen würden."

Trotz Kaczynskis Europa-Skepsis warnt auch der Berliner TAGESSPIEGEL vor zuviel Misstrauen der westlichen EU-Staaten gegenüber dem neuen polnischen Präsidenten:

"In der Vergangenheit hat sich Polen trotz mancher innenpolitischer Turbulenzen stets als verlässlicher europäischer Partner erwiesen. Gut wären die EU-Nachbarn darum beraten, den neuen Machthabern an der Weichsel trotz mancher Skepsis mit der gebotenen Offenheit zu begegnen."

Und in der TAGESZEITUNG (taz) lesen wir:

"Kaczynski ist zwar ein Populist, aber viel zu klug, um nicht zu wissen, dass in den Außenbeziehungen viel leichter etwas zerstört als wieder aufgebaut werden kann. Seine Forderung nach Kriegsreparationen durch die Deutschen ist fast so alt wie die nach der Todesstrafe. Denn auch das Präsentieren einer 'offenen Rechnung' kommt bei den meisten Polen gut an. Das Trauma des Warschauer Aufstands 1944 mit seinen 200.000 Toten und der anschließenden Sprengung der Stadt durch die Nazis ist bis heute nicht überwunden. (...) Die künftige Außenpolitik Kaczynskis ist kaum abzuschätzen - es wird aufschlussreich sein, welche Berater er um sich schart."


Und wir blicken nach Deutschland: Über den unionsinternen Konflikt um den Zuschnitt des künftigen Wirtschaftsministeriums schreibt die Münchener ABENDZEITUNG:

"Im Streit um das Stoiber-Ministerium wirft Merkel ihre ganze Autorität in die Waagschale. Sie verprellt so ihre wenigen Freunde und stützt ausgerechnet einen, der ihr die Richtlinienkompetenz rundheraus abgesprochen hat. Das wird die interne Stimmung nicht heben. Ohnehin sind die Unions-Kritiker in der zweiten Reihe verärgert über Merkels Maulkorb. Eine Analyse des schlechten Ergebnisses will sie verhindern angeblich, um die Position in den Koalitionsverhandlungen nicht zu schwächen, tatsächlich aber, um eigene Fehler vergessen zu machen. Das Spiel auf Zeit, die Taktik der Verdrängung wird kaum aufgehen. Schon die Größe der Kröten, die für die große Koalition geschluckt werden müssen, wird dafür sorgen, dass der Ärger der Merkel-Kritiker in der Union wach bleibt."

Ganz ähnlich kommentiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG die parteiinternen Querelen der Union:

"Der Quittung erster Teil war das erbärmliche Wahlergebnis. Teil zwei ist der holprige Start von Angela Merkel auf dem Weg ins Kanzleramt. Die Union präsentiert sich als bedingt regierungsbereit: in Personalfragen nicht abgestimmt, in den Inhalten diffus. Das erinnert ein wenig an den doppelten Fehlstart von Rot-Grün, der in der CDU mit dem Satz kommentiert wurde: Die können es nicht."

Abschließend bemerkt DIE TAGESPOST aus Würzburg:

"Es gärt in der Union. Vielen dämmert es, dass der Preis, den Merkel und Stoiber für das Kanzleramt gezahlt haben, zu hoch war und auf Kosten der Partei und ihres Programms geht. Manche machen daraus einen Vorwurf: Um des Postens willen habe Frau Merkel die Identität der Partei verkauft und das gleiche gelte für Stoiber, auch ihm gehe es nur um seine persönliche Macht ... Stoiber muss wissen: In Berlin hat er keinen Hofstaat mehr, dort steht er auf dem Marktplatz, nicht mehr auf der Bühne. Und Frau Merkel muss wissen: Kanzler einer Großen Koalition sind schwächer als jeder andere Regierungschef, erst recht, wenn sie nur für sich und nicht für ein Programm stehen."