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Pressestimmen von Dienstag, 30. Dezember 2003

Frank Gerstenberg29. Dezember 2003

Wahlen in Serbien

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Die Parlamentswahl in Serbien steht im Blickpunkt der Tageszeitungen. Die Kommentatoren nehmen dabei den Erfolg der Radikalen mit Sorge auf.

Die STUTTGARTER ZEITUNG schreibt:

"Politiker der westlichen Gemeinschaft schürten in den vergangenen Jahren allzu große Hoffnungen auf dem Balkan. Schnell hatte es den Anschein, dass die Reformregierungen, ob in Kroatien, Bosnien oder in Serbien, alles Geld und Unterstützung aus dem Westen bekämen, wenn nur endlich die alten Regime vertrieben wären. Doch der Westen konnte und wollte diese Erwartungen nicht erfüllen. Es fehlte an Geld, Einflussmöglichkeiten und politischem Willen. Nach Jahren des Stillstands drücken die Wähler nun ihre Enttäuschung aus."

In der LEIPZIGER VOLKSZEITUNG heißt es:

"Die Nachricht wird dem in Den Haag einsitzenden ehemaligen Belgrader Machthaber Milosevic gewiss gut gefallen: Zwei Jahre nach seiner unfreiwilligen Überstellung an das Völkerrechtstribunal führen die serbischen Ultranationalisten mit ihrem Wahlerfolg den Beweis, dass der mutmaßliche Kriegsverbrecher wohl doch nicht des Balkans schlimmstes und schon gar nicht einziges Übel war. Verlierer sind damit vor allem jene Kräfte um den ermordeten Ministerpräsidenten Djindjic, die sich die politische Erneuerung Serbiens auf die Fahnen geschrieben haben. Von diesem hehren Ziel ist gleichwohl nichts übrig geblieben."

"Erschrecken und Ratlosigkeit sind die beiden Gefühle, die das Ergebnis der serbischen Parlamentswahlen bei den europäischen Nachbarn auslösen", notiert die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder und fährt fort:

"Erschrecken darüber, dass die als Kriegsverbrecher in Den Haag angeklagten Vojislav Seselj und Slobodan Milosevic mit ihren Parteien zusammen 35 Prozent der Wählerstimmen erreicht haben. Und Ratlosigkeit deswegen, weil man nicht so recht weiß, wie man dem Kernland des Balkans helfen kann, damit seine Bevölkerung wieder Vertrauen in die Demokratie gewinnt."

Auch die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock macht sich Sorgen:

"Welche Ironie des Schicksals, dass nun gerade diese Extremisten bei fairen und freien Wahlen 81 von 250 Mandaten erhalten haben - die meisten für eine Partei. Es zeigt sich, wie gefährdet ein demokratischer Kurs ist, wenn hohe Arbeitslosigkeit, breite Armut und große Perspektivlosigkeit den Alltag bestimmen. In Serbien kommt hinzu, dass im Wahlkampf mit Erfolg Rachegefühle gegen den Westen geschürt wurden. Eine Strafe für das nachlassende öffentliche Interesse am Balkan. Dabei verlangt der Aufbau der Demokratie viel mehr Unterstützung als die Zerstörung einer Diktatur. Eine Erkenntnis, die beileibe nicht nur für Belgrad gilt. Es ist also höchste Eisenbahn für die EU, entsprechende konkrete Signale auch an das serbische Volk zu senden."

Und die FRANKFURTER RUNDSCHAU kommentiert:

"Der Aufstieg der Radikalen Partei, der chauvinistischen Kampforganisation des Vojislav Seselj, zur stärksten Kraft hat Entsetzen ausgelöst. Seselj steht vor Gericht in Den Haag - er hat sich freiwillig gestellt -, könnte den Buchstaben des Gesetzes nach aber ein Parlamentsmandat einnehmen, solange er nicht verurteilt ist. Dasselbe gilt für den ehemaligen starken Mann Slobodan Milosevic, dessen Sozialistische Partei glatter über die Fünf- Prozent-Hürde sprang, als viele erwartet hatten. Milosevic und Seselj werden freilich kaum in die Skupschtina einziehen; ihre Parteien aber werden dazu beitragen, Serbien in der Isolation zu halten. Gemeinsam sind sie stark genug, jede Veränderung der Landesverfassung zu blockieren. Von der Teilhabe an der Macht im Staate sind sie noch immer weit entfernt, doch zur Destabilisierung reicht es allemal. Die nur allzu verständliche Unzufriedenheit des Volkes mit dem Alltag, der Verarmung und dem Ausschluss aus dem übrigen Europa hat ihnen Wähler zugetrieben, die die Verantwortung gerade dieser Parteien für die gegenwärtige Not nicht wahrhaben wollen."