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Pressestimmen von Dienstag, 31. Oktober 2006

Gerd Winkelmann30. Oktober 2006

Deutschland und Polen

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Das deutsch-polnische Spitzentreffen in Berlin sorgte zwar für äußerliche Entspannung in den Beziehungen zwischen beiden Ländern, brachte aber kaum Annäherung in den Hauptstreitpunkten. Der Konflikt um die Ostseepipeline wurde auf die europäische Ebene verlagert, auch in der Entschädigungsfrage gab es keine Fortschritte. Skepsis durchzieht auch die Kommentare in der deutschen Tagespresse.

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN beurteilen die Lage folgendermaßen:

Eine neue, gute Erfahrung nannte Kaczynski sein Gespräch mit der Kanzlerin. Es klang erstaunt - beinahe so, als hätte er in Berlin kein freundliches Willkommen, sondern zähnefletschende Arroganz erwartet. Merkel hat das Eis zu brechen versucht, aber mehr als ein Anfang konnte dieser Besuch nicht sein. Dass die Mehrheit der Polen von Deutschland ganz anders denkt als ihre Regierung, mag ein Trost sein. Für den Moment hilft das aber nicht. Die Beziehungen zu Warschau bleiben frostig.'

Der Kommentator der Münchner ABENDZEITUNG zeigt sich überzeugt:

'Die Gebrüder Kaczynski sticheln deshalb so gerne Richtung Deutschland, weil es das einzige Thema ist, das ihre national- konservative Regierung zusammenhält. Affären und Zoff mit den Koalitionspartnern haben es ihnen fast unmöglich gemacht, zu regieren. Das ist auch der Grund, warum es die Hardliner künftig schwer haben werden, Wahlen zu gewinnen. Zumal das polnische Volk ein völlig anderes Deutschland-Bild hat als sie: Es tritt Umfragen zufolge für eine Aussöhnung ein und hält den Nachbarn für den wichtigsten Partner. Lange werden die Kaczynskis nicht mehr Politik gegen das eigene Volk machen können.'

Ähnliches vermuten die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe:

'Kaczynski liegt momentan nichts daran, die Beziehungen zu Deutschland zu verbessern. In Polen ist Wahlkampf - und die aggressiven Töne gegen den westlichen Nachbarn betrachtet er als Profilierung für seine rechts-nationale Koalitionsregierung.'

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER analysiert:

'Innenpolitisch nur durch die Furcht vor Machtverlust geeint, verfällt (die polnische Regierung) in eine Kalte-Kriegs-Rhetorik, um von eigener Schwäche abzulenken. Polen ist EU-Mitglied; die auf Ausgleich und Konsens bedachte Rationalität europäischer Politik hat seine Regierung bis heute nicht verinnerlicht. Die Beziehungen zwischen Polen und dem geeinten Deutschland sind auf dem Tiefpunkt. Ungeachtet aller Warschauer Weltfremdheit muss Berlin die bilateralen Beziehungen intensiv pflegen. Das gilt auch für das zuletzt vernachlässigte Weimarer Dreieck mit Frankreich und Polen. Nur: Kurzfristige Besserung wird es schon wegen der anstehenden deutschen EU-Präsidentschaft nicht geben.'

Die BERLINER ZEITUNG sieht es von einer anderen Seite:

'Eine Annäherung scheint im leidigen Energiestreit möglich. Merkels Vorschlag läuft praktisch auf eine politische Garantie für sichere Gas- und Stromlieferungen nach Polen hinaus zu den Bedingungen eines gemeinsamen europäischen Energiemarktes und seiner Preise. Warschaus konkrete Reaktion darauf wird ein erstes Signal dafür sein, ob sich die deutsch-polnischen Beziehungen wieder in Richtung Sachlichkeit und Pragmatismus entwickeln oder ob sich Warschau weiter in fruchtloser Polemik gegen die Ostseepipeline ergehen mag. Letztlich aber kann es nicht angehen, Initiativen zur Vertrauensbildung und zum Abbau der Spannungen ausschließlich aus Berlin zu erwarten.'

DIE MITTELBAYERISCHE ZEITUNG aus Regensburg schreibt:

'Wohl selten lag die Verantwortung für das derzeit eisige Klima zwischen Deutschland und Polen so eindeutig auf polnischer Seite. Seit es in Polen eine politische Mehrheit für konservativen Nationalismus und dumpfen Europa-Skeptizismus gibt, hat das Verhältnis zu Deutschland erheblich gelitten. Dabei haben weder die Regierungen Schröder noch Merkel etwas getan, was objektiv das sensible Verhältnis zum östlichen Nachbarn trüben könnte. Im Gegenteil. Außenpolitische Differenzen, etwa in der Haltung zum Irak- Krieg, haben kaum auf das zwischenstaatliche Verhältnis durchgeschlagen. Doch inzwischen reicht ein harmloser Zwischenfall mit einem Passagierdampfer auf der Ostsee aus, um die Nerven blank zu legen.'

In den LÜBECKER NACHRICHTEN lesen wir:

'Man sollte hierzulande die Bedenken nicht samt und sonders als Marotten überspannter Nachbarn abtun. Wenn sich Vertriebene oder eher deren Nachkommen unter dem pseudo-staatlichen Titel Preußische Treuhand vor dem Europäischen Gerichtshof den juristischen Segen für Entschädigungsforderungen erstreiten wollen, so darf man in Polen durchaus irritiert sein. Immerhin geht es um rund ein Drittel des heutigen polnischen Staatsgebiets, das sicher nicht auf polnische Initiative hin so aussieht, wie es der Fall ist.'

Hier noch ein Blick in das MAIN-ECHO aus Aschaffenburg:

'Angela Merkel hat, anders als ihr etwas raubeiniger und nicht immer diplomatisch geschickt agierender Vorgänger, den Polen bislang noch keinen Anlass zur Besorgnis geliefert. Die Kritik der Warschauer Regierung läuft daher ins Leere. Nicht zuletzt mag die Kanzlerin auf den Faktor Zeit setzen und darauf vertrauen, dass das Phänomen Kaczynski von kurzer Dauer ist und Polen wieder eine Regierung erhält, die weit weniger nationalistisch, deutsch-feindlich und europa-skeptisch ist.'