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Pressestimmen von Dienstag, 7. Februar 2006

Gerd Winkelmann6. Februar 2006

Streik / Karikaturen

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Im öffentlichen Dienst hat der größte Streik seit 14 Jahren begonnen. In Baden-Württemberg legten Tausende Beschäftigte in Städten und Gemeinden die Arbeit nieder, um eine auf 40 Stunden verlängerte Wochenarbeitszeit sowie Lohnkürzungen zu verhindern. Die deutsche Tagespresse zeigt sich in ihrer Meinung geteilt.

So lesen wir beispielsweise in den STUTTGARTER NACHRICHTEN:

'Selbst wenn sich Verdi durchsetzen sollte und die Arbeitgeber einlenkten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die verlängerte Arbeitszeit auch im Kommunaldienst flächendeckend eingeführt wird. Nicht nur in der Wirtschaft, auch im öffentlichen Dienst selbst - bei Beamten, Neueinsteigern oder Beförderungen - ist sie nämlich heute schon die Regel. So oder so: Verdi kämpft mit dem Rücken zur Wand. (...) Auch die Arbeitgeber haben einen langen Atem und können die Aktionen aussitzen, während für Verdi der Druck von Tag zu Tag wächst.'

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt:

'(...) Dieser Arbeitskampf ist schädlich, unsolidarisch und kontraproduktiv - einmal ganz abgesehen von der Ironie, daß Verdi in den Ländern eben jenen Tarifvertrag durchsetzen will, dessen Anwendung sie gerade in den Kommunen torpediert. Die Streiks sind schädlich, weil sie das Wirtschaftsleben lähmen und Wertschöpfung verhindern. Das aber kann Deutschland in der labilen konjunkturellen Situation am allerwenigsten gebrauchen. (...) Der Arbeitskampf ist kontraproduktiv, weil die öffentlichen Kassen leer sind und jede Möglichkeit zur Kostensenkung ausgeschöpft werden muß.'

Völlig anderer Auffassung ist das NEUE DEUTSCHLAND:

'Wenn sich nicht etwas sehr Überraschendes tut, steht Deutschland im öffentlichen Dienst vor einer echten Machtprobe. Heraufbeschworen hat diese ganz eindeutig die Arbeitgeberseite: Erst stiegen die Länder-Finanzminister einseitig aus dem Mammutprojekt Tarifreform aus - und wiesen dann die Kommunalarbeitgeber in drei Pilot- Bundesländern an, den gerade mühsam gefundenen Kompromiss auf lokaler Ebene durch stures Beharren auf einer Arbeitszeitverlängerung zu torpedieren. (...) Eins aber ist erfreulich an dieser unnötigen Machtprobe: Im Gegensatz zur freien Wirtschaft behauptet niemand, eine Arbeitszeitverlängerung werde längerfristig zu mehr Beschäftigung führen.'

Zu guter Letzt noch ein Blick in die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock:

'Viele Städte und Gemeinden sind in Not, sie leben von der Hand in den Mund. Hohe Kreditraten, teure Energiepreise und steigende Sozialkosten lassen die Ausgaben explodieren, während die Einnahmeseite durch wachsende Arbeitslosigkeit und sinkende Unternehmenssteuern wegbricht. Die Kluft zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum wird größer. Um diese gefährliche Diskrepanz muss sich der Gesetzgeber endlich kümmern. Ein Streik wird das Problem nicht lösen.'


Wir wechseln das Thema: Die in Europa kursierenden Karikaturen des Propheten Mohammed halten die islamische Welt weiter in Aufregung. In Teheran attackierten erzürnte Demonstranten die österreichische und die dänische Botschaft. Brandsätze und Steine flogen. Für Deutschlands Presse hat sich das Thema mittlerweile zum alltäglichen Brot entwickelt.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG meint:

'Der Westen ist in dieser Lage gut beraten, sich nicht in Selbstgerechtigkeit zu ergehen - nicht weil er Unrecht hatte, sondern weil Rechthaben in der heutigen Weltlage wenig hilft. Moderieren, abkühlen - das ist die Aufgabe. Im Inneren der westlichen Gesellschaften aber muss die Integration der Immigranten endlich zu einem der zentralen Politikfelder aufsteigen.'

In der STUTTGARTER ZEITUNG lesen wir:

'Der Bruch von Tabus war jahrzehntelang ein gern gespieltes Spiel in den westlichen Demokratien. Emanzipation vom Staat, von den mächtigen Institutionen der Gesellschaft war das Ziel. Es ist weit gehend erreicht worden. Und so hat man sich im kleinen Dänemark auch kaum etwas gedacht, als man den Propheten Mohammed in Karikaturen abgebildet hat. Die islamische Welt aber ist nicht in der Moderne angekommen. Die Kultur der Toleranz ist im Islam unterentwickelt. Die technologische Entwicklung, auf der die Überlegenheit des Westens beruht, erfährt die islamische Welt als Demütigung, verbunden mit schwindendem Einfluss. Auch daraus erklärt sich die Flucht in den Fundamentalismus, in die Gewalt.'

Über den Umgang mit religiöser Aggression schreibt die WELT:

'Es geht nicht nur um Toleranz und Respekt in dieser Frage. Die lauen Reaktionen veranschaulichen vielmehr, wie sehr die Diskussion in weiten Teilen Europas von einem Klima der Einschüchterung und der Angst geprägt wird. All die Appelle für mehr Rücksichtnahme und Verständnis, so verdienstvoll sie sein mögen, sind ein Eingeständnis der Mut- und Ratlosigkeit im Umgang mit aggressiven, in unserer Mitte lebenden Gruppen, die sich nicht an die Spielregeln offener Gesellschaften halten wollen. Nachgeben kann auch ein Zeichen von Stärke und ein Gebot der Klugheit sein. Aber ein schleichender Rückzug aus Furcht schwächt die Werte, die eigentlich bekräftigt werden sollen.'

Der TAGESSPIEGEL zieht eine Linie zur bevorstehenden 'Berlinale':

'Im Karikaturenstreit ging es ursprünglich um den Vorwurf der Blasphemie. Längst aber haben die gewalttätigen Reaktionen, eine Art nachgetragene Zensur im Wege der Mob-Gerichtsbarkeit, das Ursprungsmotiv überdeckt. Zensur ist der Tod der Freiheit. Auch deshalb suchen die Berlinale-Macher bewusst Bilder aus Diktaturen, aus Kriegsgebieten, in denen die Freiheit nicht gilt aus dem Irak etwa und, diesmal sehr zahlreich, aus Iran. Sie lenken den Blick auf die inneren Risse in totalitären, patriarchalischen, mittelalterlichen Strukturen, die immer mehr an Boden gewinnen.'