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Pressestimmen von Donnerstag, 06.Juni 2002

von Bernhard Schatz5. Juni 2002

Westerwelle contra Möllemann

https://p.dw.com/p/2OGe

Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen kennen am Donnerstag praktisch nur ein Thema: Das Ultimatum von FDP-Chef Guido Westerwelle an seinen Vize und NRW-Vorsitzenden Jürgen Möllemann. Sollte Möllemann den wegen anti-jüdischer Äusserungen ins Gerede gekommenen Abgeordneten Jamal Karsli nicht bis Montag aus der
Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen entfernt haben, sei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich.

Dazu DIE WELT:

"Viel hat Guido Westerwelle in den vergangenen Tagen vom Handeln geredet, zu viel. Dass er sich damit als einen der Ersten beschädigte, hat er selbst als einer der Letzten erst begriffen. Nun also die Kehrtwende, besser spät als nie: Der Parteichef geht aufs Ganze. Daran ehrt ihn, dass er es tut, obwohl er sich des Ausgangs der Machtprobe mit seinem robusten Vize Jürgen Möllemann nicht wirklich sicher sein kann. Mindestens in Nordrhein-Westfalen stellt sich Guido Westerwelle endlich gegen den Strom - statt weiter in
bunter Badehose darin zu plantschen. Warum er aber das Endspiel mit Jürgen Möllemann bis zum kommenden Montag hinziehen will - das bleibt ein Rätsel. Weil Möllemann mit unschuldigem Augenaufschlag einfach dagegenhält, wird es eine stürmische Zeit sein, für das Land und für die Partei."

Der BERLINER KURIER sieht es so:

"Westerwelle will es wissen. Möllemann auch. Das ist der Stand seit Tagen im internen Machtkampf der FDP. Neu ist nur, dass der Parteichef seinen kraftvoll leeren Worten jetzt kraftvolle Taten folgen lassen will. Inzwischen geht es gar nicht mehr um die Frage, ob Möllemann Antisemit ist. Oder ob er nur den Anschein erweckt, einer zu sein. Es geht um die pure Machtfrage. Gewinnt Westerwelle jetzt gegen Möllemann, ist dessen politische Karriere zu Ende.
Umgekehrt gilt das gleiche."

Im BONNER GENERAL-ANZEIGER lesen wir:

"Jetzt endlich kam das Machtwort. Aber jetzt wird es nicht mehr ohne spektakuläre Kraftprobe abgehen. Entsprechend tief werden die Verletzungen, welche sich die FDP zufügt. Dennoch: Besser spät als nie. Auch für den Zentralrat der Juden hat sich nun eine neue Lage ergeben: Zeit zum Atemholen und zum Nachdenken darüber, ob man das Ganze in den letzten Tagen nicht doch zu hoch gehängt hat. Weder ist Möllemann Antisemit noch seine Partei antisemitisch. Und schon gar nicht überrollt eine Welle des Antisemitismus das Land."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU kommentiert:

"Das Ultimatum war notwendig, es wurde aber auch Zeit. Der
unheimliche Aufstand gegen die liberale Idee wird ja nicht nur von den unbotmäßigen Möllemann-Freunden an Rhein und Ruhr geprobt. Selbst im biederen Südwesten treten Nachwuchsfunktionäre an, um im Wettbewerb mit Jungnazis nach dem rechten populistischen Weg zu suchen. Und Westerwelle muss nicht lange fragen, wer die Ulmer
Jungliberalen inspiriert hat. Zu oft spricht der Vorsitzende selbst von den Protest- und Rechtsaußenwählern vergangener Jahre, die es indie freidemokratische Mitte zu holen gelte. Nichts gegen eine Redemokratisierung von Verirrten, nur erscheinen die Prioritäten leicht verrutscht. Guido Westerwelle muss da noch einige liberale Wiederaufbauarbeit leisten - egal ob Jürgen Möllemann sich als eingliederungswillig und -fähig erweist."

Im MANNHEIMER MORGEN heisst es:

"Jürgen Möllemann hat eine unsägliche und abstoßende Diskussion vom Zaun gebrochen. Seine Äußerungen waren überlegt, kalkuliert und trotz aller gegenteiligen Beteuerungen offensichtlich mit dem FDP-Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle abgesprochen. Die Strategie der FDP-Führung geht auf Kosten der jüdischen Bürger in Deutschland und - was beide Politiker offensichtlich verkennen - sie geht
letztlich auf Kosten jener Mehrheit, die sich - im wohlverstandenen Sinn - um 'Normalität' bemüht. Möllemann und Westerwelle mögen mit ihrem neuen Kurs vielleicht an den so genannten Rändern erfolgreich sein und Stimmen sammeln. Der Mehrheit der Deutschen und ihrem ehrlichen Bemühen um Normalität haben sie allerdings einen
Bärendienst erwiesen. Der gelbe Wagen ist längst an die Wand gefahren."

Zum Schluss noch ein Blick zur Fussball-Weltmeisterschaft - und dem ernüchternden 1:1 gegen Irland.

Dazu meint das COBURGER TAGEBLATT:

"So schnell kann's gehen: Einmal in der Abwehr gepennt, und schon sind die Maßstäbe zurechtgerückt. Rudi Völlers Truppe ist halt doch kein Anwärter auf höhere WM-Weihen, sondern kann nach dem 1:1 gegen Irland von Glück reden, wenn sie die Vorrunde übersteht. Das 8:0 über Saudi-Arabien, das vielen gleich wieder zu Kopf gestiegen ist, erwies sich als Muster ohne Wert. Die DFB-Auswahl ist mit ihrem
Leistungsbild wieder dort angelangt, wo sie vor WM-Beginn
realistischerweise anzusiedeln war - abseits der Favoriten."