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Pressestimmen von Donnerstag, 1. Dezember 2005

Walter Lausch30. November 2005

Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel

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Jede Tageszeitung kommentiert natürlich die erste Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag. Die Einschätzungen fallen überwiegend wohlwollend aus. So schreibt der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth:

"Für den Auftakt einer extrem schwierigen Regierungszeit hat Angela Merkel den richtigen Ton getroffen: nüchtern, ausgewogen, umfassend, um Ehrlichkeit bemüht und ohne Überschwang und falsches Pathos. Natürlich muss erst die Zukunft zeigen, ob das schwarz-rote Programm zur Bewältigung der riesigen Probleme taugt oder nicht. Merkel wird nach dem Verfliegen der Anfangseuphorie wie Schröder sehr schnell an der Entwicklung der Arbeitslosigkeit gemessen werden, auch wenn sie keine Zahl nennt."

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG in Heidelberg stellt eine Frage:

"Was also ist die 'Botschaft', mit der Angela Merkel die Bürger mitnehmen will auf einen Weg, der zwar nicht allein der ihre, aber der einzig verbliebene ist? Kein Schaumbad der großen Gefühle, keine Spur von Selbstinszenierung. Dafür viele kleine Schritte, eine nüchterne Beschreibung der Absichten und Möglichkeiten und ein dosierter Schuss Zukunftsoptimismus. Nein, das Angebot der großen Koalition ist nicht der Adventsteller, von dem sich jeder nehmen kann, was ihm schmeckt, wie auch SPD-Chef Platzeck assistierte. Doch verstärkt gerade diese neue Solidität und Strenge den Eindruck, dass diese Koalition mehr zu leisten im Stande sein könnte, als ihr heute die meisten zutrauen. Und in Angela Merkel, die mit den eingeübten Politik-Ritualen so wenig anfangen kann, hat sie, das wird sich noch zeigen, vermutlich die bestmögliche Chef-Besetzung gefunden."

Der MÜNCHENER MERKUR verbindet Zweifel mit Hoffnung:

"Kann die Große Koalition Deutschland aus der Krise führen? Zweifel sind erlaubt, aber Hoffnungen nicht verboten. Eines hat Schwarz-Rot schon nach einer Woche im Amt geschafft: Die Zeit der unerträglichen Verunglimpfungen des politischen Gegners ist überwunden. Ex-Kanzler Schröder ist für die Union kein Versager mehr, sondern einer, der 'mit seiner Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat.' So formulierte es Merkel in ihrer Regierungserklärung. Und Müntefering, der Merkel hingebungsvoll der Unfähigkeit bezichtigte, ist zu der bemerkenswerten Überzeugung gelangt, er glaube, 'dass sie als Mensch und Politikerin es doch kann'. Wenigstens in Atmosphäre und Stil ist im noch jungen Regierungsbündnis weit mehr erreicht, als nach einem harten, von persönlichen Verletzungen geprägten Wahlkampf zu erwarten war. Darauf lässt sich aufbauen."

Die Rostocker OSTSEE-ZEITUNG macht sich Gedanken über den Grundtenor der Rede:

"Die neue Bundeskanzlerin ist vor allem Pragmatikerin. Visionen und Pathos sind nicht ihre Sache. Das war ihrer ersten Regierungserklärung deutlich anzumerken. Vermutlich liegt das in ihrer Vita begründet: Ostdeutsch, protestantisch, naturwissenschaftlich gebildet. Bewusst setzt sie auf eine Politik der kleinen Schritte, die den Bürgern etwas zumutet, sie aber nicht entmutigt. Für Merkel ist Deutschland zwar ein Sanierungs-, aber kein hoffnungsloser Fall. Die Kanzlerin ist nicht gewohnt zu scheitern. Gerade in Krisenzeiten entwickelt sie ihre Stärken."

Die Berliner TAZ knüpft an diese Analyse an:

"Merkels Rede passte genau zur Politik ihrer Regierung. Sie war nicht kraftvoll, nicht zukunftsweisend und schon gar nicht visionär. Ihre Regierungserklärung war vor allem eines: ernüchtert. Ein ehrliches Bekenntnis zu einer Politik der kleinen Schritte."

Dagegen zeigt sich die BERLINER ZEITUNG enttäuscht:

" Frau Merkel, Sie haben für Ihre erste Regierungserklärung gerade mal 45 Sekunden Beifall geerntet; lau war der Applaus bei der Union, noch lauer bei der SPD. Das lag nicht daran, dass Sie die Sozialdemokraten in Ihrer Rede schlecht behandelt hätten. Sie haben sich vor Willy Brandt verneigt, Sie haben Gerhard Schröder gelobt, tapfer haben Sie auch die SPD-Erfolge in der Koalitionsvereinbarung präsentiert. Über einen Mangel an Fairness können sich weder CDU/CSU noch SPD beschweren. Insofern beginnt Ihre Regierungszeit nicht schlecht. Aber Sie haben die Chance verpasst, der SPD, der Union und vor allem der übrigen deutschen Öffentlichkeit zu erklären, warum Sie regieren. Kleine Schritte ersetzen keinen großen Wurf."

Das knappe Fazit der PFORZHEIMER ZEITUNG:

"Merkels Strahlkraft als Rednerin hielt sich auch gestern erwartungsgemäß in engen Grenzen. Da steht keine, an deren Lippen die Menschen hängen. Da steht keine, die allein mit der Wirkung ihrer Worte etwas verändern kann. Und da steht vor allem keine, die eine Aufbruchstimmung erzeugen kann. Aber so viel ist klar: Da steht eine, die will."