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Pressestimmen von Donnerstag, 1. Juli 2004

zusammengestellt von Annamaria Sigrist 30. Juni 2004

Neuer und alter Bundespräsident / Überstellung Saddam Husseins an irakische Justizbehörden

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Die Kommentare der deutschen Tageszeitungen befassen sich an diesem Donnerstag vor allem mit dem scheidenden Bundespräsidenten Johannes Rau und seinem Nachfolger Horst Köhler. Kommentiert wird auch die Übergabe von Iraks Ex-Präsident Saddam Hussein an die irakischen Justizbehörden.

Der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn widmet sich dem alten und neuen Bundespräsidenten.

"Wie mit seinen Vorgängern hat Deutschland auch mit diesem Mann im höchsten Staatsamt Glück gehabt - und dieser Mann mit seinem Amt. Rau hat es gewollt und gern ausgeübt. Heute wird Johannes Rau das Amt an Horst Köhler weitergeben, nicht wehmütig, sagt er, sondern dankbar. Die Deutschen haben Grund, diesen Dank zu erwidern, gegenüber einem Mann, der sich ein halbes Jahrhundert um ihre Angelegenheiten gekümmert hat, einem hochgebildeten und belesenen Geist, der sich dennoch nicht verstellen muss, wenn er vom Rednerpult eines Philosophenkongresses zu einer Plauderei mit Normalbürgern wechselt, weil er nie verlernt hat, einer von uns zu sein."

In den NÜRNBERGER NACHRICHTEN heißt es:

"Wie Heuss, Heinemann, von Weizsäcker und Herzog war auch Rau mehr als der oberste Notar der Republik, der die Bundesgesetze unterzeichnet und Ministern ihre Ernennungs- oder Entlassungsurkunden in die Hand drückt. Er war ein politischer Präsident, der sein eigenes Profil entwickelte. Und er war vom Alter her der Letzte unter den Staatsoberhäuptern, die aus eigener Erfahrung wissen, was es heißt, in der Nazi-Zeit aufgewachsen zu sein. Wie seine Vorgänger hat er erlebt, wie schwer es mitunter für Deutsche ist, mit dieser Last zu leben. Rau hat auf diesem Sektor Zeichen gesetzt, die ihm Respekt eintrugen."

Die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz und Mainz sieht auf Hörst Köhler schwierige Zeiten zukommen:

"Wenn der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds heute als neuntes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik vereidigt wird, erwischt er den einstigen Musterknaben Deutschland sozusagen auf dem falschen Fuß. Das Land befindet sich in einem Umbruch, der von vielen Menschen bereits große Opfer verlangt hat und - dazu braucht es keiner prophetischen Gabe - auch noch große Anstrengungen erfordern wird. Mit solch existenziellen Problemen musste sich kaum einer seiner Vorgänger auseinandersetzen."

Der TAGESSPIEGEL aus Berlin greift die Überstellung von Iraks Ex-Präsidenten Saddam Hussein an die irakische Justiz auf. Das Blatt schreibt:

"Der Prozess, der wohl erst in einigen Monaten eröffnet wird, ist ein Test, ob der neue Irak ein rechtsförmiges, faires Verfahren garantieren kann. Schließlich werden die Fernsehübertragungen aus dem Gerichtsaal auch ihre Wirkung auf die Region haben. Mit Saddam steht zwar ein besonders brutaler arabischer Despot vor Gericht, viele seiner Methoden werden aber auch in anderen arabischen Ländern angewandt. Beim Anblick Saddams auf der Anklagebank dürfte es den Assads, Mubaraks, Gaddafis und Abdullahs jedenfalls ein wenig ungemütlich werden."

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder meint:

"Saddam Hussein wäre ein nahezu idealer Fall für den Internationalen Strafgerichtshof gewesen - der jedoch von den Amerikanern abgelehnt wird. Unter den Bedingungen, die im heutigen, von Gewalt und Chaos heimgesuchten Irak herrschen, dürfte ein rechtstaatlicher Prozess kaum möglich sein. Es schmeckt zu sehr nach Rache. Es mag sein, dass der Prozess gegen Saddam eine gewisse, diffus empfundene historische Gerechtigkeit darstellt. Ein Glanzpunkt der Rechtsgeschichte wird er sicher nicht."

Abschließend heißt es in den DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN:

"In den ersten Jahren nach dem Sturz blutiger Herrscher ist nur Internationalen Gerichten eine objektive Bewertung möglich. In Nürnberg wiesen die Siegermächte NS-Gräuel akribisch nach. In dieser Tradition steht das Uno-Tribunal für Milosevic & Co., zu einer ähnlichen Autorität soll sich der Internationale Strafgerichtshof entwickeln. Dort wäre Saddam gut aufgehoben. Er ist kein Unschuldslamm. Ihre Überlegenheit über kriminelle Regime beweist eine Rechtsordnung aber nur, wenn sie Schuld nüchtern bewertet. Dafür hat die Justiz im Irak zu wenig Erfahrung und zu viel Rachedurst."