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Pressestimmen von Donnerstag, 1. Juni 2006

(Ursula Kissel)31. Mai 2006

Gesunkene Arbeitslosenzahlen / Mutmaßliches Massaker von US-Soldaten an irakischen Zivilisten

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Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Mai überraschend stark gesunken. Sie verringerte sich um mehr als 250.000 auf rund 4,545 Millionen. Das waren knapp 350.000 weniger als vor einem Jahr. Die Bundesregierung sieht ihren Reformkurs durch die Zahlen bestätigt. Dies ist ein zentrales Thema der Kommentare in der deutschen Tagespresse. Ein anderes ist das mutmaßliche Massaker amerikanischer Soldaten an irakischen Zivilisten.

Doch zunächst zu den Arbeitslosenzahlen. Die in Düsseldorf erscheinende WESTDEUTSCHE ZEITUNG analysiert:

"Eine glatte Viertelmillion Arbeitslose im Mai weniger - das ist eine gute Nachricht. So einen starken Abbau hat es innerhalb eines Monats seit den Zeiten der Wiedervereinigung, als die Wirtschaft boomte, nicht mehr gegeben. Die gute Nachricht wird allerdings etwas relativiert, wenn man sich vor Augen führt, das immer noch über 4,5 Millionen Menschen in Deutschland keinen Job haben. Und außerdem herrscht etwas Verwirrung darüber, wie diese gute Zahl zustande kam. Von statistischen Bereinigungen ist die Rede. ..."

Warnend äußert sich die DIE WELT aus Berlin:

"Zum Ausrufen der Trendwende am Arbeitsmarkt ist es viel zu früh. Hinter den guten Zahlen steckt vor allem die übliche Frühjahrsbelebung. Die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft dürfte die Nachfrage nach Arbeitskräften im Mai zusätzlich angeheizt haben. (...) Bedenklich stimmt auch, daß die Langzeitarbeitslosen kaum von der Frühjahrsbelebung profitieren. Während die Zahl der Arbeitslosengeld-I-Empfänger im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgeht, drohen die Langzeitarbeitslosen auf der Strecke zu bleiben. (...) Die Koalitionäre seien davor gewarnt, sich bequem zurückzulehnen und auf die Konjunktur zu hoffen. (...)Der große Wurf am Arbeitsmarkt steht noch aus."

Kritik kommt auch auch von der Mainzer ALLGEMEINEN ZEITUNG:

"Über 250 000 Menschen haben im Mai neue Arbeit gefunden, das ist für die Betroffenen zweifelsfrei erfreulich. Doch schaut man genau hin, so bestätigen die Zahlen aus Nürnberg nur, dass der Winter endlich vorbei ist, sonst gar nichts. Und noch eines verrät uns der gründlichere Blick in das gestern vorgelegte Zahlenwerk: Die Zahl der regulären Arbeitsplätze ist im Jahresvergleich um 88.000 auf 25,91 Millionen gesunken. Das heißt, auch ein Aufschwung kann und wird uns die hohe Beschäftigung wie in früheren Jahrzehnten nicht zurückbringen, denn Arbeit im herkömmlichen Strukturen ist in Deutschland in weiten Teilen nach wie vor schlicht zu teuer."

Das in Düsseldorf erscheindende HANDELSBLATT fordert weitere Reformen von der Bundesregierung:

"Die Versuchung für Union und SPD wächst, ihren zweifelhaften Reformeifer weiter erlahmen zu lassen. (...) Selbst wenn sich in den nächsten Monaten erhärten sollte, dass der laufende Konjunkturaufschwung auch den Arbeitsmarkt erfasst: eine Lockerung des Arbeitsrechts wird dadurch nicht weniger dringlich werden. Zu oft sind Regierungen bereits der Illusion gefolgt, der jeweils nächste Aufschwung werde auch die strukturellen Beschäftigungsprobleme schon lösen."

Themenwechsel.
Amerikanische Soldaten sollen im irakischen Ort Haditha 24 irakische Zivilisten als Vergeltungsakt für einen Anschlag erschossen haben. Nach den schweren Vorwürfen hat US-Präsident Bush eine eingehende Untersuchung und Bestrafung etwaiger Schuldiger angekündigt.

Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG schreibt:

"Bestätigt sich vollends, dass amerikanische Marineinfanteristen in Haditha wahllos und vorsätzlich Zivilisten getötet haben, dann heißt das zunächst: Soldaten wurden zu Rächern auf eigene Faust, Kämpfer zu Killern. Gegen ihren Auftrag, auch gegen das Selbstverständnis des US-Marine-Corps und mit absehbar bitteren Folgen für die Politik ihres Landes und für die Sicherheit seiner Soldaten im Irak. Das wäre entsetzlich. ..."

Kritik an der amerikanischen Irak-Politik übt die BERLINER ZEITUNG:

"... Die Regierung Bush hat versucht, ihre neokoloniale Machtpolitik zur Absicherung von Rohstoffen und Einflusssphären mit der Parole vom Krieg gegen den internationalen Terrorismus zu verbrämen. Die Tragik dieser amerikanischen Politik liegt darin, dass sie jenen Elementen, die sie zu bekämpfen vorgibt, unablässig neue Kräfte zuführt. (...) Exzesse wie die von Haditha wirken dann wie eine Vitaminspritze für jene Gruppen, die sich zu El Kaida bekennen."

Auch die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock mahnt:

"Die Amerikaner entziehen sich durch das außer Kontrolle geratene Treiben einiger Truppenteile die letzten Stückchen Boden, von denen aus sie überhaupt noch im Irak operieren können. Den Nimbus als Befreier haben die USA ohnehin schnell verloren. Jetzt werden sie wohl auch bei den letzten Befürwortern des Einmarschs zu Feinden. Die Morde von Haditha, verübt von jungen US-Marines, offenbaren die Überforderung einer unerwünschten Armee in einem fremden Land: Soldaten, die im Kriegs-Stress durchdrehen, eine hilflose Generalität und eine politische Führung ohne Plan."

Die NÜRNBERGER ZEITUNG sieht historische Parallelen:

"...Sofort werden daher Erinnerungen an My Lai wach, an jenes Dorf in Vietnam, in dem am 16. März 1968 während des Vietnam-Kriegs 400 bis 500 Zivilisten, zumeist Frauen, Kinder und Alte von kampferprobten Einheiten der US-Armee ermordet worden waren. Der Vorfall hatte damals großes Aufsehen erregt und erheblich dazu beigetragen, die Kriegsmüdigkeit in den USA zu verstärken. Eine ähnliche Reaktion fürchtet die US-Regierung jetzt auch und hat deshalb die vollständige Aufklärung der Bluttat angekündigt."

Die DRESDNER NEUESTE NACHRICHTEN unkt:

"Im Irak sterben täglich 30 bis 50 Menschen. Da mag es für Militärs nahe liegen, die 24 Opfer des Massakers, das US-Truppen aus Rache für einen getöteten Kameraden in Haditha verübten, als Entgleisung abzuhaken: Unschön, aber im Krieg eben unvermeidbar. Eine Besatzungsmacht, die einen brutalen Diktator stürzt und selbst Gewalttaten an Zivilisten verübt, kann jedoch nicht Befreierbonus in Anspruch nehmen. ..."