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Pressestimmen von Donnerstag, 10. November 2005

9. November 2005

Koalitionsverhandlungen / Luftsicherheitsgesetz / Unruhen in Frankreich

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Kommentarthema vieler deutscher Tageszeitungen ist an diesem Donnerstag die Schlussphase der Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD. Beachtung finden auch die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über Klagen gegen das umstrittene Luftsicherheitsgesetz sowie die anhaltenden Unruhen in Frankreich.

Zunächst zu den Koalitionsverhandlungen. Der TAGESSPIEGEL aus Berlin bemerkt:

'In der Union und von Arbeitgebern werden die bisherigen Ergebnisse der Koalitionsgespräche als zu weich, zu gering kritisiert. Die Handschrift der Union sei nicht recht erkennbar. Das ist richtig und falsch. Vieles, was jetzt beredet wird, hat mit den Wahlzielen vor allem der CDU in der Tat nur geringe Schnittmengen. Doch das liegt vor allem daran, dass die Union, obwohl sie knapp die Kanzlerin stellen kann, die Wahl nicht gewonnen hat.'

Kritisch äußert sich der MANNHEIMER MORGEN:

'Sieht so der Aufbruch aus? Wohl kaum. ... Im Wahlkampf haben Union und SPD in seltener Einigkeit den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ganz oben auf ihre Agenden gesetzt. Nun, da sie zur Gemeinsamkeit verdammt sind, versuchen sie es mit einem Aufguss ihrer bisher wenig erfolgreichen Politik.'

Auch die LÜBECKER NACHRICHTEN üben Kritik an den bisherigen Verhandlungsergebnissen:

'Die großen Schwachstellen unseres Sozialstaates bleiben unangetastet, dazu zählt das Gesundheitssystem wie auch der weiter wachsende Schuldenberg. Auf dem Arbeitsmarkt, der zentralen Baustelle der deutschen Krise, wird kräftig weitergewurstelt. Die Union hat richtigerweise durchgesetzt, den Kündigungsschutz zu lockern, aber schon bei der Rück-Reform von Hartz IV wird die ganze Hilflosigkeit der Politiker ohne wirkliche Vision deutlich.'

Die in Berlin herausgegebene Tageszeitung DIE WELT notiert:

'Die CDU wäre gut beraten, am Ende der Verhandlungen zu prüfen, ob die große Koalition mit all ihren verzwickten Selbstbeschränkungen dem Land eine Lösung bringen kann oder nur ihr Teil zu werden droht. ... 'Große Koalitionen lösen große Probleme', hieß es zu Beginn der Verhandlungen. Davon ist nicht viel zu erkennen.'

Der Kommentator der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG aus München rät:

'Die künftigen Partner der großen Koalition sollten vor allem einen dringenden Rat der fünf Weisen in letzter Minute befolgen und die Mehrwertsteuer jetzt doch nicht erhöhen. ... Nimmt man das Geld, um Haushaltslöcher zu stopfen, wie Union und SPD dies jetzt vereinbart zu haben scheinen, schadet dies Beschäftigung und Wachstum. Überdies ist das Instrument der Mehrwertsteuer damit für künftige Reformen verbraucht.'

Ebenso argumentiert die OSTTHÜRINGER ZEITING, sie erscheint in Gera:

'Die Wirtschaftsweisen legen den Finger in die Wunde. Darf man die bisherigen Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen unterm Strich als durchaus erfreulich bezeichnen, so ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer eine Bankrotterklärung der Finanzpolitik. Die Haushaltslöcher sind bedrohlich, keine Frage. Noch bedrohlicher aber ist, dass in Deutschland das Wachstum nicht in Schwung kommt. Nur mit einer Belebung des Wirtschaftswachstums aber lassen sich langfristig auch die Staatsfinanzen konsolidieren.'

Damit zum nächsten Thema, dem umstrittenen Luftsicherheitsgesetz, das nun auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts steht.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG erläutert:

'Daß der Staat nicht nur Terroristen gezielt tötet, sondern auch die Opfer einer Flugzeugentführung, das ist nach dem Luftsicherheitsgesetz möglich - auch wenn Gesetzgeber und Regierung beteuern, selbstverständlich wollten sie nicht Leben gegen Leben abwägen. ... Wenn sich alle darüber einig sind, daß Menschenleben nicht mengenmäßig abgewogen werden dürfen, dann stellt sich die Frage, warum das im Gesetz nicht klar zum Ausdruck kam. Oder gibt es sie doch, diese Staatsnotfälle, in denen Menschen 'geopfert' werden (müssen), um eine Vielzahl anderer zu retten?'

In der WETZLARER NEUEN ZEITUNG heißt es:

'Die Kläger haben wegen der offenbar missverständlichen Anlage des Luftsicherheitsgesetzes gute Aussichten, dass es von den Karlsruher Richtern kassiert wird. Sie wollen nicht, dass im Ernstfall der Staat Menschen opfert und vorsätzlich tötet, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen. Den Klägern ist Erfolg zu wünschen, denn ein derart weit reichendes Abschussrecht unter dem Deckmäntelchen der Luftsicherheit darf keinen Bestand haben.'

Ähnlich argumentiert die SÄCHSISCHE ZEITUNG aus Dresden:

'Es kann nicht sein, dass ein Minister oder wer auch immer entscheiden soll, ob 1.000 Menschenleben in einem Büroturm mehr wert sind als 300 in einem Flugzeug. Deshalb kann auch kein Gesetz der Welt eine sichere Rechtsgrundlage schaffen, um eine Regierung im Katastrophenfall juristisch abzusichern. Ein kleineres oder größeres Übel gibt es nicht, wenn es um Menschenleben geht. Jedes Leben ist gleich wertvoll. Viel zu groß ist außerdem das Risiko, dass der zuständige Minister die Situation falsch einschätzt.'

Nun noch ein Blick in die STUTTGARTER ZEITUNG, die sich mit den Unruhen in Frankreich befasst:

'Umfragen zufolge befürwortet die überwältigende Mehrheit der Franzosen den Rückgriff auf das Ausnahmerecht aus der Zeit des Algerienkriegs. Ihnen hat Innenminister Nicolas Sarkozy aus der Seele gesprochen, als er ankündigte, die Vorstädte mit dem Hochdruckreiniger von Gesindel säubern zu wollen. Aber die dorthin abgedrängten Franzosen arabischer oder schwarzafrikanischer Abstammung lassen sich nicht wegblasen. Die Nation muss versuchen, sie zu akzeptieren, ihnen wie ihren alteingesessenen Landsleuten Wohnung und Arbeit geben oder aber auf Dauer mit dem Feind im eigenen Lande leben, die nächste Revolte vor Augen.'