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Pressestimmen von Donnerstag, 12. Oktober 2006

Hans Ziegler11. Oktober 2006

Lehrstellenmangel in Deutschland / Kevin stirbt in Bremen

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In Deutschland hat sich die Lage auf dem Lehrstellenmarkt verschlechtert. Knapp 50.000 Jugendliche sind ohne Ausbildungsplatz - für die deutsche Tagespresse ist das ein zentrales Kommentarthema. Außerdem findet der Tod des kleinen Kevin in Bremen Beachtung. Das Jugendamt hatte ihn bei seinem Vater gelassen, obwohl dessen Drogensucht und Gewalttätigkeit bekannt war.

Zunächst zur Lehrstellenlücke:Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG macht dafür auch die Jugendlichen verantwortlich. Im Kommentar heißt es:

'Die Lage am Ausbildungs- und Lehrstellenmarkt ist beunruhigend. Zwar werden auch diesmal vermutlich viele Bewerber in der Nachvermittlung bis Dezember noch einen Platz finden, doch ein Modell, das die Unternehmen am Standort Deutschland zuverlässig mit qualifiziertem Nachwuchs versorgt, sieht anders aus. Und genau da liegt das Problem: Viele Bewerber genügen nicht den Anforderungen, die selbst Handwerksbetriebe in Zeiten der Globalisierung stellen müssen.'

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN sehen das ganz anders und weisen den Betrieben die Verantwortung zu:

'Die Unternehmer täten gut daran, nicht die Statistik schönzureden, sondern neue Ideen zu entwickeln. Förderungen von Altbewerbern, Ausbildungskooperationen oder verkürzte Lehren für Lernschwächere sind schon heute erfolgreich - es müssen sich nur mehr Betriebe trauen. Das Engagement kann über die Zukunft entscheiden: Von 2007 an sinkt die Zahl der Schulabgänger, qualifizierter Nachwuchs wird umso wichtiger. '

Noch deutlicher in diesem Sinn äußert sich der SCHWARZWÄLDER BOTE aus Oberndorf:

'Der negative Trend muss aufrütteln. Gewohnte Reflexe wie der Hinweis auf die schwierige Wirtschaftslage versagen angesichts einer komfortablen Konjunktur hierzulande ihren Dienst. Ist es nicht eher so, dass die Bereitschaft der Firmen, jungen Menschen eine Perspektive zu bieten, abgenommen hat? Früher galt Ausbildung als Standortpflege und gelebte soziale Verantwortung. Heute scheint das nicht mehr überall zu gelten.'

Abschließend zum Thema Lehrstellenmarkt der MANNHEIMER MORGEN, der sich auf keine Schuldzuweisungen einläßt, wenn es dort heißt:

'Man sollte es nicht schönreden. Da mag sich die Bundesagentur für Arbeit mittels statistischer Sondereffekte noch so sehr um ein differenziertes Bild bemühen. Eine Ausbildungsabgabe wäre naheliegend, aber bürokratisch äußerst aufwendig und von zweifelhaftem Erfolg. Am Lehrstellenmarkt kommen nun mal mehrere gesellschaftliche Problembereiche zusammen. Da können vielerlei Anstrengungen nützlich sein - aber so schnell leider keine Besserung erreichen.'

Themenwechsel. In Bremen wird die Leiche eines zweijährigen Jungen gefunden. Das Jugendamt hatte ihn bei seinem Vater gelassen, obwohl dieser heroinabhängig war und gegen den wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt wurde - ein Fall, der in den Kommentaren der deutschen Tagespresse breite Beachtung findet:

Die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld schreibt:

'Es ist nicht das erste Mal, dass deutsche Ämter versagen, wenn Leib und Seele von Kindern aus schwierigen Milieus geschützt werden müssen. Schicksale wie das von Kevin werden hinter zugezogenen Gardinen und geschlossenen Türen besiegelt. Man braucht Menschen, die sie öffnen und der zunehmenden Verrohung an den Rändern unserer Gesellschaft mit Courage begegnen. Anstatt Aktennotizen anzulegen.'

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG meint:

'Der Vater ist heroinabhängig, gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren wegen des Todes der Mutter. Doch der zweijährige Sohn lebt bei ihm. Das Jugendamt hat die Vormundschaft, doch von Behördenseite hat seit Juli niemand den Kleinen gesehen. Den Jungen, der jetzt tot im Kühlschrank gefunden wurde. Eklatanter als in dem Bremer Fall kann eine Verletzung behördlicher Pflichten kaum sein. Kinder müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat sie schützt, betont nun Bremens Regierungschef. Doch das schafft der Staat nicht. '

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam stellt in ihrem Kommentar die folgenden Fragen:

'Der Fall des zweijährigen Kevin aus Bremen macht auch deshalb betroffen, weil hier ein so offenkundiges Versagen des Staates vorliegt. Wie kann es sein, dass ein Kleinkind bei einem Drogensüchtigen lebt, gegen den wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt wird? Wie kann es sein, dass das Jugendamt, das nach dem Tod der ebenfalls süchtigen Mutter die Vormundschaft übernahm, tatenlos blieb? Der Rücktritt der Sozialsenatorin ist ehrenwert, aber er kann nur der erste Schritt sein.'

Abschließend die NÜRNBERGER ZEITUNG, trotz allem mit einer Portion Hoffnung wenn es dort heißt:

'Die Bremer Sozialsenatorin trat von ihrem Posten zurück und übernahm die politische Verantwortung für den am Vortag aufgedeckten Skandal. Das aber ist das einzig Löbliche, was sich über die SPD-Politikerin sagen lässt. Sie hat auf der ganzen Linie versagt. Doch das trifft nicht nur auf Frau Röpke zu, sondern auch auf die Bremer Behörden. Kevins Tod hätte verhindert werden können - das ist die bittere Wahrheit. Aber vielleicht bewirkt das Schicksal des kleinen Jungen ja, dass das Wohl der Kinder wieder mehr in den Blickpunkt von Erwachsenen und Behörden rückt. Kinder brauchen Schutz: Für Kevin kommt diese Erkenntnis aber zu spät.'