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Pressestimmen von Donnerstag, 15. November 2001

Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers, die veränderte Lage in Afghanistan und die Abrüstungsgespräche zwischen den USA und Russland - diese drei Themen stehen vor allem im Blickpunkt der Kommentatoren.

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Zur Lage der Bundesregierung notiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"Noch vor einigen Wochen war nicht zu erahnen, dass Schröders Stern so schnell sinken würde. Das lag nicht nur an seiner Statur und seinem glänzenden Auftritt, sondern auch an den lärm- und staubträchtigen Umbauarbeiten in der CDU. Nun aber wird Schröder in atemraubender Geschwindigkeit entzaubert - am Freitag so oder so. Wie einst Helmut Schmidt ist Schröder jetzt ein Kanzler ohne Unterleib.'

Die ESSLINGER ZEITUNG analysiert:

"Fragt man Kenner der grünen Seele, wie sie die Chancen an diesem Freitag einschätzen, antworten sie: Fifty-Fifty. Doch auch wenn es den Grünen noch einmal gelingt, ihre Reihen zu schließen, droht das nächste Ungemach. Ende November ist in Rostock Bundesparteitag. Wenn die grünen Abweichler einknicken und dem Kanzler jetzt am Freitag die Mehrheit verschaffen, steigt die Wahrscheinlichkeit sprunghaft an, dass der grüne Bundesparteitag eine Woche später den Bundeswehr- einsatz ablehnt. Das ist die etwas verquere Logik grüner Gesinnungsethiker. Auch dann wäre die Koalition am Ende und der Kanzler hätte das, was er will: Neuwahlen und das Ende der Grünen."

Dazu meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

"Neuwahlen im Zeichen eines Kriegseinsatzes können die politische Landschaft in Deutschland wesentlich verändern. Die politische Debatte bleibt derzeit am Schicksal von Rot-Grün hängen, der Blick auf die PDS kommt zu kurz. Die Anti-Kriegsstimmung in der Bevölkerung, derzeit parlamentarisch kaum vertreten, könnte der PDS zum Durchbruch im Westen verhelfen. Dies könnte die Kräfte- verhältnisse für längere Zeit verändern."

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder widmet sich der politischen Entwicklung in Afghanistan:

"Was jetzt passiert, ist der fast rasend schnelle Wechsel von Loyalitäten. Früher hielten die Taliban die diversen Stammes- und Clanchefs mit saudischem Geld bei der Stange. Nun sind diese Quellen versiegt, und die vorher Gekauften wenden sich in Scharen ab. Es kann sogar passieren, dass Überläufer den Top-Terroristen Osama bin Laden verraten, so dieser überhaupt noch in Afghanistan ist. Immerhin haben die USA auf bin Laden ein Kopfgeld in Höhe von fünf Millionen Dollar ausgesetzt. Es wächst zugleich die Gefahr, dass regionale Feldkommandeure die kriegsmüde Bevölkerung drangsalieren und dringend notwendige Hilfstransporte behindern. Das Land bleibt auch ohne die Taliban im wahrsten Sinne des Wortes ein Minenfeld."

Für Aufmerksamkeit hat die Abrüstungsinitiative zwischen den USA und Russland gesorgt. Die Präsidenten Bush und Putin einigten sich darauf, die Zahl der Atomwaffen um jeweils zwei Drittel zu verringern.

Für die FRANKFURTER RUNDSCHAU sind die engeren Beziehungen beider Länder eine Folge der Terroranschläge:

"Nach dem 11. September hat Putin die Chance entschlossen ergriffen, sich den USA als verlässlicher Partner im Kampf gegen den Terrorismus zu empfehlen: Überflugrechte, Einfluss auf Usbekistan und Tadschikistan, den USA Stützpunkte verfügbar zu machen, Unterstützung bei den Vereinten Nationen. Für Putin war es die Gelegenheit, vom Pranger des Menschenrechtsverletzers in Tschetschenien wegzukommen und die Tür nach Westen aufzustoßen. Putin erwartet dafür Hilfe beim Beitritt seines Landes zur WTO und engeren Anschluss an dieNato. Vertrauen und breit gefächerte Partnerschaft statt dogmatischer Fixiertheit auf Verträge. Die neue Bedrohung durch den Terror fördert Allianzen der Gegner aus den Tagen des Kalten Krieges."

In der BERLINER MORGENPOST schließlich ist zu lesen:

"Bush braucht Putin im Anti-Terror-Kampf. Entstanden ist zunächst nur ein Zweckbündnis gegen einen gemeinsamen Feind, den Terrorismus. Die drastische Abrüstung des Atomwaffenarsenals, die Bush den Russen nun vorschlug, hat ihren Preis. Denn mit diesem mutigen Angebot an die heute verarmte Militärmacht des Ostens will Bush Zustimmung zu seinen Plänen eines neuen Raketenabwehrsystems erlangen. Moskau sperrte sich und pokert damit seinerseits darum, wirtschaftlich stärker an den Westen angebunden zu sein. So entsteht eine Partnerschaft zwar höchst ungleicher Akteure. Für Sicherheit und Stabilität ist sie gleichwohl von unschätzbarem Wert."