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Pressestimmen von Donnerstag, 16. Dezember 2004

Reinhard Kleber15. Dezember 2004

Europaparlament zu EU-Beitritt der Türkei / Anti-Diskriminierungsgesetz / Holocaust-Mahnmal vor der Vollendung

https://p.dw.com/p/5zte

Die Leitartikler der deutschen Tageszeitungen befassen sich vorrang mit dem Beschluss des Europaparlaments zur Türkei und der Einigung auf einen Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz. Ein weiteres Kommentarthema ist die Fertigstellung des Holocaust-Mahnmals in Berlin.

Zunächst hören wir die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zum Streit um einen EU-Beitritt der Türkei:

"Die EU wird Beitrittsgespräche beschließen, weil sie zu schwach für die Wahrheit ist und weil sie keine Alternative zu bieten hat. Die Regierungschefs wählen an diesem Donnerstag in Brüssel zwischen zwei radikalen Modellen: Mitgliedschaft oder Ablehnung mit unkalkulierbaren Folgen für die Türkei. In diese Extremlage hätte sich die EU gar nicht erst manövrieren dürfen. Nun bleibt ihr nur die Flucht nach vorne, in der Hoffnung, dass die neue Konstruktion irgendwie schon halten wird."

Eine andere Position vertritt das HANDELSBLATT aus Düsseldorf:

"Kein Zweifel: Ein Beitritt der Türkei könnte das Ende der in der Nachkriegszeit entworfenen EU bedeuten, wie wir sie kennen. Viele sehen das als die eigentliche Gefahr. Doch darin könnte auch die historische Chance für eine neue EU liegen, die sich den Aufgaben des 21. Jahrhunderts stellt. Warum sollte sich Europa nicht als große Werte-, Wohlstands- und Sicherheitsgemeinschaft neu erfinden, die nicht nur die Türkei, sondern auch die Ukraine einbinden könnte?"


Zum Antidiskriminierungsgesetz lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN:

"In Deutschland gibt es bisher keine Kultur der Antidiskriminierung', heißt es in der Gesetzesbegründung. Viele Menschen seien sich ihrer Vorurteile gar nicht bewusst. Da ist von Abhängigkeiten, Bildungs- und Schamgrenzen die Rede. Wird das Antidiskriminierungsgesetz hier helfen? Was wird es bewirken außer einer Prozessflut (Stichworte: Umkehr der Beweislast und Schadensersatz) und der Schaffung weiterer Antidiskriminierungsbeauftragter und -verbände? Vielleicht die Illusion, durch eine umfassende Verrechtlichung könnten die Unterschiede zwischen den Menschen eingeebnet werden. Das ist keine Hilfe für die Benachteiligten. Eher deren Bevormundung und Beleidigung."

Dagegen gibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU Folgendes zu bedenken:

"Was in anderen Staaten längst Usus ist, führt in Deutschland schon präventiv zu einem mittleren Aufstand. Zu unternehmensfeindlich! Zu bürokratisch! Fast lustvoll beschwören da einige Lobbyisten aus Wirtschafts- und Arbeitgeberkreisen bereits eine drohende Klagewelle. Gewiss. Das geplante Gesetz birgt zahlreiche Fußangeln. Und auch aus Sicht derer, denen es künftig Schutz bieten soll, hat es zahlreiche Schwachpunkte. Doch der Entwurf, den Rot-Grün jetzt vorgelegt hat, ist praxisnäher, differenzierter und ausgewogener als diejenigen glauben machen wollen, die jetzt laut Alarm schreien."


Zum Abschluss wenden wir uns dem Berliner Holocaust-Denkmal zu. Hierzu schreibt die BERLINER ZEITUNG:

"Die nicht-jüdischen Deutschen von heute, das 'Volk der Täter', wie sie mit einem gewissen Nachhall der Kollektivschuldthese genannt werden, können sich an den Holocaust in der Regel nicht 'erinnern', solange man unter Erinnerung die innere Rückrufung von etwas selbst Erlebtem versteht. Ihr Gedenken kann nur eine Geste sein, die die Anerkennung historischer Verantwortung zum Ausdruck bringt. Gerade deshalb, weil alles andere den Verdacht der Heuchelei wecken würde, wäre es vernünftig, auch die kritikwürdigen Bemühungen der Vergangenheitsbewältigung als ernsthafte Anstrengungen gelten zu lassen, was sie nach allem Dafürhalten ja auch sind. Andernfalls ist auch das Mahnmal überholt, bevor es fertig wird."

Der MANNHEIMER MORGEN äußert demgegenüber größere Vorbehalte:

"Den Betrachter dieses Bauwerks zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz beschleicht schon heute die Befürchtung, dass laute Neugierde größer sein könnte als stilles Gedenken an die Verfolgten des Nationalsozialismus. Für Schulklassen und Berlin-Touristen steht künftig die Holocaust-Gedenkstätte auf dem Pflichtprogramm - Schauder statt Trauer, Gänsehaut anstelle von Aufarbeitung beim Wandel durch den düsteren Stelen-Wald wohl inbegriffen."