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Pressestimmen von Donnerstag, 17. November 2005

zusammengestellt von Hans-Bernd Zirkel17. November 2005

Informationsgifel in Tunis / SPD-Parteitag in Karlsruhe

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Der Streit auf dem Welt-Informationsgipfel um die US-amerikanische Internet-Verwaltungszentrale ICANN und der Parteitag der SPD in Karlsruhe sind die meistkommentierten Themen der deutschen Tagespresse am Donnerstag.

Zum Informationsgipfel der Vereinten Nationen in Tunis meint das HANDELSBLATT aus Düsseldorf:

"Ein altes amerikanisches Sprichwort rät: Lass die Finger von Dingen, die gut funktionieren. In allerletzter Minute haben sich die Vertreter von mehr als 100 Ländern auf dem Welt-Informationsgipfel in Tunis auf diese Weisheit besonnen. Sie lassen das Internet zunächst unangetastet. Der Versuch einiger Nationen unter der Führung von China, Brasilien und Iran, das Netz quasi unter die Aufsicht der Uno zu stellen, ist damit gescheitert. Das ist gut so. Das Internet eignet sich aus technologischer Sicht nicht für eine staatliche Kontrolle. Von den politischen Risiken, die dem freien Fluss von Informationen drohen, wenn autoritäre Regime hineinregieren, ganz zu schweigen."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER kommentiert:

"Regierungen von Staaten wie Iran und China, die im eigenen Land wenig auf Meinungsfreiheit und Menschenrechte geben, wollen nichts anderes als eine noch intensivere eigene Kontrolle über das Internet. Aber das geht auf Dauer eben nicht, wenn die dafür verantwortliche Institution ausgerechnet der Weltmacht USA unterstellt ist. Es mag ein bisschen schlicht klingen, wenn die Amerikaner behaupten, es sei doch bisher mit ICANN alles gut gegangen. Doch von Ausnahmen abgesehen haben sie damit durchaus Recht. Ausgerechnet Iraner oder Chinesen in einem Gremium sitzen zu sehen, das über Informationsfreiheit im Internet entscheidet, ist schon eine sonderbare Vorstellung."

Die in Freiburg erscheinende BADISCHE ZEITUNG sieht es so:

"Das Internet ist - im freien Teil der Welt - ein Raum der Anarchie im besten Sinne. Sicher, es wäre ein Symbol, die Internet-Verwaltung bei der UN anzusiedeln. Mehr aber nicht. In Tunis bleibt derweilen das dringendste Problem ungelöst: das der gleichen Teilhabe am Netz. Wie gelänge es, die Entwicklungsländer im Süden flächendeckend online zu bringen, um sie am Gewinn der Weltinformationsgesellschaft teilhaben zu lassen? Zum Beispiel mit Computern und Leitungen aus dem Norden und mit Druck auf die Süd-Regierungen, das Recht auf freie Information ernst zu nehmen."

Der Kommentator der HEILBRONNER STIMME fragt:

"Warum findet der Weltkongress zum Thema Internet und Informationsfreiheit eigentlich nicht gleich in Nordkorea statt? Weil dort die Portionen kleiner sind als in Tunesien? An den Lorbeeren für gewährte Pressefreiheit kann es nicht liegen. Damit haben beide Länder die gleichen Probleme. Der Tagungsort ist jedenfalls eine Dummheit sondergleichen."

Zahlreiche ostdeutsche Tageszeitungen befassen sich mit dem in Karlsruhe beendeten SPD-Parteitag und der Wahl von Matthias Platzeck zum neuen Vorsitzenden der Sozialdemokraten.

Dazu ist in der LEIPZIGER VOLKSZEITUNG zu lesen:

"Soviel Harmonie war lange nicht mehr in der SPD. Matthias Platzeck mit einem Traumergebnis an die Parteispitze gehievt, die Müntefering-Mobber dagegen nur moderat bestraft. Statt Shakespeare und der Abrechnung mit den Königsmördern die romantische Alle-haben-sich-lieb-Show. Viel Zuckerbrot, kaum Peitsche und das Wir-Gefühl neu entdeckt; da bleibt kein Genossen-Auge trocken. Der Parteitag endet als friedlich-fröhlicher Betriebsausflug einer zuvor tief zerstrittenen Belegschaft. Von derartigen Erfolgserlebnissen lässt sich lange zehren."

Zum neuen SPD-Chef meint die FREIE PRESSE aus Chemnitz:

"Der Brandenburger hat ebenso unverkrampft und selbstverständlich, wie er den Vorsitz der 142 Jahre alten Partei übernahm, auch zu seiner DDR-Vergangenheit Stellung genommen. Man muss lange suchen, um einen Spitzenpolitiker einer Partei zu finden, der sich so klipp und klar zu seiner völlig anderen Sozialisierung bekannt hat und auch noch stolz darauf ist. Da Platzeck die PDS wie kein anderer Sozialdemokrat kennt, dürfte er mit dem Bekenntnis zu seinen Wurzeln auch die stärker gewordene Linkspartei im Auge gehabt haben. Vielleicht werden auch die Leistungen der ehemaligen DDR-Bürger mit Platzeck künftig ideologiefrei beurteilt. Der inneren Einheit würde es gut tun."

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam kommentiert den Generationswechsel in der SPD:

"Die SPD hat mit Matthias Platzeck nicht nur einen unverbrauchten Vorsitzenden aus dem Osten gewählt, sondern auch zahlreiche Politiker in den Ruhestand geschickt, die für Jahrzehnte das Bild der Partei geprägt haben: Gerhard Schröder und Wolfgang Clement, Wolfgang Thierse und Hans Eichel, Renate Schmidt und Heidemarie Wieczorek- Zeul, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Generation der 'Enkel' Willy Brandts ist endgültig abgetreten. Auch wenn der Beweis noch aussteht, dass die neue Generation mehr Ruhe in die Partei und damit auch in die Politik der Bundesregierung bringt, stehen die Chancen dafür nicht schlecht." Die in Erfurt erscheinende THÜRINGER ALLGEMEINE sieht aber auch ein Problem:

"Auch wenn Matthias Platzeck in Potsdam nicht weit entfernt von Berlin sitzt, bleibt er doch vor den Türen, hinter denen die Kompromisse verhandelt werden. Zudem wird es schwer erkennbar sein, wer eigentlich führt - ob Vizekanzler Müntefering nicht doch heimlicher Parteichef bleibt. Was enorme Effekte auf die Chancen eines künftigen Kanzlerkandidaten Platzeck hätte. Wer gibt seine Stimme schon einem Strohmann?"