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Pressestimmen von Donnerstag, 19. Oktober 2006

Gerd Winkelmann18. Oktober 2006

Der neue Kanther-Prozess / Der Fall Kurnaz in der Schwebe

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Der Prozess um schwarze Kassen der hessischen CDU geht in eine neue Runde: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen den ehemaligen Innenminister Manfred Kanther wegen rechtlicher Mängel in Teilen aufgehoben: 18 Monaten Haft auf Bewährung und 25.000 Euro Geldbuße, weil er ein Millionenvermögen der hessischen CDU ins Ausland geschafft hatte. Die Reihe der kritischen Pressekommentare beginnen wir mit den KIELER NACHRICHTEN:

'Der Teilerfolg für Kanther mag eine persönliche Genugtuung für den hartnäckigen Polit-Pensionär sein. Doch sie ist zugleich eine herbe Niederlage für die CDU. Die hatte nämlich gehofft, dass der Spuk des Spendenskandals endlich ein Ende hat. Jetzt wird die ganze Geschichte vom Landgericht Wiesbaden wieder aufgerollt. Die Folgen für die Union sind heute noch gar nicht absehbar: Denn es ist durchaus denkbar, dass sich die Richter noch einmal mit der Rolle des hessischen Ministerpräsidenten Koch befassen.'

Im OFFENBURGER TAGEBLATT lesen wir folgendes:

'Der Bundesgerichtshof hat für alle ehrlichen Bürger ein enttäuschendes Urteil gefällt. Das Verfahren gegen CDU-Spendensammler und Ex-Bundesinnenminister Manfred Kanther muss neu aufgerollt werden. Das hört sich auf den ersten Blick gar nicht so schlecht an. Denn das zur Revision anstehende Urteil des Landgerichts Wiesbaden war und ist ein Skandal. Eineinhalb Jahre auf Bewährung für Kanther hieß es 2005, weil er rund zehn Millionen Euro veruntreut hatte. Doch von einem wohlverdienten Aufenthalt im Gefängnis ist Kanther nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs nun meilenweit entfernt.'

Der Kommentar im KÖLNER STADTANZEIGER meint:

'Manfred Kanther kann sich freuen, denn seine Pensionsansprüche dürften gerettet sein. Dass der Bundesgerichtshof die Verurteilung wegen Untreue zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten teilweise aufgehoben hat, konnte keinen mehr überraschen. Nicht nur Kanthers Verteidiger, sondern auch die Bundesanwaltschaft hatte in dem Urteil schwere Rechtsfehler entdeckt: Eine schallende Ohrfeige für das Landgericht Wiesbaden. Die Neuauflage des Verfahrens um einen der größten und peinlichsten Polit-Affären der Republik dürfte wohl kaum noch Beachtung finden.'

Zuletzt noch ein Blick in die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld:

'Der einst prominente Christdemokrat hat der Demokratie und dem Ansehen der Politiker schweren Schaden zugefügt. Noch schlimmer als seine Geldschieberei und die dreisten Lügen über den Ursprung der Gelder sind seine Selbstgerechtigkeit und Uneinsichtigkeit. Noch heute ist Kanther überzeugt, dass sein Tun rechtens war, weil er mit dem Schwarzgeld ja gegen den Sozialismus in Hessen zu Felde gezogen ist. Wer sich so über das Recht hinwegsetzt, seiner Partei massiven Schaden zufügt und den politischen Gegner zu einer Art Seuche erklärt wie Kanther, der kann und darf nicht freigesprochen werden.'

Themenwechsel: Der ehemalige Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz ist nach Aussage des Verteidigungsministeriums entgegen eigener Schilderung nicht von deutschen Elitesoldaten misshandelt worden. Gesprächskontakte in Afghanistan gibt ein Untersuchungsbericht allerdings zögernd zu. Die Kommentare in der deutschen Tagespresse sehen sich häufig ebenfalls in der Schwebe, etwa die SAARBRÜCKER ZEITUNG:

'Es scheint, dass man ernsthaft darum bemüht ist, Kurnaz Vorwürfe aufzuklären - nichts anderes als lückenlose Aufklärung muss man vom Ministerium auch erwarten. Schließlich steht der Ruf der Bundeswehr auf dem Spiel. Es gilt die Unschuldsvermutung. Aber all zu oft haben sich in den letzten Jahren im Kampf gegen den Terror Dinge abgespielt, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Aber: Bewiesen ist eben nichts. Außer vielleicht, dass es erhebliche Defizite in der Kommunikation gibt zwischen Soldaten im Einsatz und ihrer Führung.'

Die SÜDWEST-PRESSE ULM ist ähnlicher Meinung:

'Im Fall Kurnaz steht jetzt Aussage gegen Aussage. Die Behauptung des ehemaligen Guantanamo-Häftlings aus Bremen, er sei in Afghanistan von deutschen Soldaten misshandelt worden, wiegt schwer. Aber es gibt bis zur Stunde keinen Grund, an der Darstellung des Bundesverteidigungsministeriums zu zweifeln, nach der es zu solchen Übergriffen nicht gekommen sei. Dennoch können die Akten noch längst nicht geschlossen werden. Immerhin räumt die Bundesregierung unterdessen Kontakte zwischen Kurnaz und Bundeswehrangehörigen ein. Ob es sich dabei nur um Wortgefechte oder um Handgreiflichkeiten gehandelt hat, muss intensiver als bisher erforscht werden.'

Im MAIN-ECHO aus Aschaffenburg lesen wir folgende Zeilen:

'Es ist ein schwerer Vorwurf, den Murat Kurnaz erhebt. .... Kaum vorstellbar, eigentlich. Wäre der Fall Kurnaz nach dem Fall el Masri nicht schon der zweite, in dem die deutsche Politik ein diplomatisch wie menschlich heikles Problem aussaß, indem sie in eine Art Angststarre vor den Amerikanern verfiel - man würde die Vorwürfe des Ex-Häftlings wohl als vorübergehende posttraumatische Befindlichkeitsstörung abtun. So aber muss die Angelegenheit um so penibler untersucht werden, auch im Interesse der Bundeswehr selbst.'

Hier noch die Analyse der HESSISCH/NIEDERSÄCHSISCHEN ALLGEMEINE:

'Wie ein großes Puzzle mit vielen Teilen setzt sich das Bild ganz langsam zusammen. Noch ist nicht alles zu erkennen. Es fehlen noch immer viele Teile. Klar ist aber jetzt, dass deutsche Soldaten wussten, dass die Amerikaner einen Deutschen in Afghanistan gefangen hielten. Klar ist auch, dass die politische Spitze nicht oder nicht richtig informiert wurde. (...) Die Befragungen deutscher Soldaten und Ex-Soldaten aus der Ferne wirken unengagiert. Und einen Untersuchungsausschuss verhindern die Parteien der großen Koalition. Vorerst jedenfalls. Es könnten ja noch weitere Puzzle-Teile gefunden werden.