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Pressestimmen von Donnerstag, 22. Februar 2007

Siegfried Scheithauer21. Februar 2007

Rückzug aus dem Irak / Stoibers Aschermittwoch

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Während die USA ihre Truppen im Großraum Bagdad verstärken, ziehen Großbritannien und Dänemark mehr als 2.000 Soldaten aus dem Süden des Irak zurück. Die Meinungsmacher der deutschen Tagespresse kommentieren Offensichtliches und Hintergründiges.

DER TAGESSPIEGEL aus Berlin merkt bitter an:

"Die Briten und die ebenfalls kriegsmüden Dänen senden mit ihrer Ankündigung ein Signal der Resignation aus. Nachdem Zehntausende von Irakern das Land verlassen haben, gehen nun auch die treuesten Verbündeten der Amerikaner. Und das in einer Zeit, in der die USA einen letzten Anlauf nehmen, das Blatt zu wenden."

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam fällt ein vernichtendes Urteil über Blair:

"Für US-Präsident Bush ist es alles andere als ein Erfolg, wenn sein wichtigster Verbündeter im Irak einen Teil der Truppen abzieht, während er selbst in einem verzweifelten Versuch, das Ruder herumzureißen, mehr als 20.000 neue Soldaten stationiert. Doch auch Blair steht vor einem Scherbenhaufen. In geradezu blinder Treue hat er sich an der Seite der Amerikaner in das Irak-Abenteuer gestürzt, die immer größer werdende Schar der Kriegsgegner geflissentlich ignorierend. Jetzt, vor dem Ende seiner Amtszeit, versucht er, den politischen Druck aus dem Irak-Thema zu nehmen, indem er den Abzug einleitet. Seinen Platz in den Geschichtsbüchern als Bushs Pudel wird er trotzdem behalten. Er hat ihn sich auch verdient."

Auch die STUTTGARTER ZEITUNG macht dem Londoner Regierungschef da wenig Hoffnung:

"Blair wird durch die Ankündigung des Rückzugs der britischen Truppen aus dem Irak sein Bild in den Geschichtsbüchern kaum mehr korrigieren können. Er wollte Großbritannien ins Euroland führen, in das Herz Europas, wie er selbst sagte. In Wahrheit hat er das Vereinigte Königreich zum Flugzeugträger Amerikas gemacht. Die britischen Wähler werden Blairs Labour-Partei vermutlich genauso bestrafen, wie die amerikanischen Wähler die Republikaner im Kongress."

Kein einziges Ruhmesblatt kann die BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG erkennen:

"Das nächste Kapitel in Basra wird von den Irakern geschrieben, lautet die zynische 'Prognose' Blairs für die Zukunft. So rasch können Gesinnungstäter die Gesinnung wechseln! US-Außenministerin Rice faselt noch von einer westlichen Koalition. Dass außer den Briten auch die Dänen abziehen, ficht sie nicht an. Der Abzug aus dem Irak ist richtig. Der Westen hat verloren. Das aber sollte offen eingeräumt werden. Der Krieg gegen Saddam Hussein war auf Lügen aufgebaut, und er endet mit Lügen."

Die FULDAER ZEITUNG resümiert:

"Der Schritt hat Symbolcharakter. Tony Blair, der engste Alliierte der USA, löst sich aus dem Schulterschluss und zieht die Konsequenzen aus einem militärischen Desaster. Signalisiert dies den Beginn vom Ende des militärischen Abenteuers im Irak?".


Dominierendes innenpolitisches Thema in den Kommentarspalten der deutschen Tagespresse ist der Politische Aschermittwoch, der bei der CSU ganz im Zeichen des Abschieds von Edmund Stoiber stand. Am Rande spielte in Passau auch der Auftritt seiner prominenten Kritikerin, der Landrätin Gabriele Pauli, eine Rolle.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE verabschiedet Stoiber mit einer großen Lobeshymne:

"Sein politisches Programm ist so 'christlich, sozial und konservativ', wie es eine Staatsregierung und eine Volkspartei im 21. Jahrhundert nur sein können. (...) Stoibers materielle Bilanz ist von niemandem zu bestreiten, seine weltanschaulichen Markierungen zeichnen den Weg vor, den die CSU in den nächsten Jahren gehen sollte. 'Offen für Neues, für vieles, aber nicht für alles' ist übrigens auch eine gute Maxime für die CDU, der Stoiber öfter aus der Patsche geholfen hat, als diese je eingestehen, gar einsehen würde," schreibt die FAZ.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hebt hervor:

"Vor allem weiß man jetzt aber, wie sich Stoiber seine eigene Zukunft vorstellt. Der Noch-CSU-Chef denkt nämlich gar nicht daran, sich aus der Politik zurückzuziehen, sondern will sich weiterhin nach Kräften in alles Mögliche einmischen. Stoiber hat in Passau eine Abschiedsrede gehalten, aber Abschied nehmen will er nicht."

Ähnlich hat es das HANDELSBLATT aus Düsseldorf beobachtet:

"Wer geglaubt hatte, Stoiber bald los zu sein, der irrt gewaltig. Das ist das Ergebnis dieses politischen Aschermittwochs, des denkwürdigsten seit langer Zeit. Stoiber ist die Nummer eins der CSU, und zwar nicht nur bis September, wenn er seine Ämter als Parteichef und Ministerpräsident abgeben wird. Ob er diese Ämter innehat oder nicht, scheint beinahe zweitrangig: Die Partei wird weiter auf sein Kommando hören. Und seine Nachfolger werden damit irgendwie zurechtkommen müssen."

Aus Bayreuth kommt vom NORDBAYERISCHEN KURIER folgende Einschätzung:

"Seine Flucht aus Berlin, die Missachtung elementarer Bedürfnisse der eigenen Fraktion - alles ausgeblendet am Stoiber-Tag in Passau. Pauli raus, Edmund, Du bist der Beste - es war der Tag des Triumphes für den scheidenden Ministerpräsidenten. An den Fakten ändert die donnernde Polit-Show freilich nichts. Stoiber muss weichen, weil er den Rückhalt in den eigenen Reihen verloren hat. Die Erbhöfe sind verteilt, gehen an Günter Beckstein und Erwin Huber."

Die Münchner ABENDZEITUNG erinnert am Ende noch einmal daran, wie alles anfing, beim Führungskampf in Bayern:

"Dass nicht nur die letzten Stoiber-Getreuen das renitente Weibsbild auspfiffen, war klar. Hat Pauli den Männern doch vorgeführt, was für Feiglinge sie sind, und dass erst eine Frau kommen musste, die das erledigte, wozu sie alle nicht den Mut hatten. Stoiber hat seinen letzten Aschermittwoch mit mehr als Anstand absolviert - auch wenn er nicht mehr vom Rednerpult weg wollte. Die schwarze Gemeinde hat ihn noch einmal frenetisch gefeiert, aber nur, weil er geht."