1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Donnerstag, 26. Oktober 2006

Reinhard Kleber 25. Oktober 2006

Skandal um Afghanistan-Fotos / Gesundheitsreform verabschiedet

https://p.dw.com/p/9IDT

Fotos von Bundeswehr-Soldaten, die in Afghanistan in teils obszönen Gesten mit einem Totenschädel posieren, haben die deutsche Politik erschüttert. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Fotos abscheulich und kündigte ebenso wie Verteidigungsminister Jung eine schonungslose Aufklärung zu. Der Fall steht im Mittelpunkt der Leitartikel der deutschen Tagespresse.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt:

"Geschlossen hat die deutsche Politik das widerwärtige Posieren einiger Bundeswehrsoldaten mit einem Menschenschädel in Afghanistan verurteilt, das auf jetzt veröffentlichten Fotos festgehalten wurde. Trotz aller Empörung und Bestürzung tat das Kabinett aber recht daran, am selben Tag unbeirrt den Anti-Terror-Auftrag in Afghanistan zu verlängern und das neue Weißbuch zu beschließen. Damit bekundete die deutsche Regierung ihr grundsätzliches Vertrauen in ihre Armee, das auch nach einem solchen (Einzel-)Fall gerechtfertigt bleibt. Gleichwohl besteht Anlaß zu der Befürchtung, daß die Fotos in Afghanistan und in anderen islamischen Ländern ein Erdbeben lostreten. Legen es die dortigen Feinde des Westens darauf an, dann läßt sich aus dem Ereignis ein zweiter Fall Abu Graib machen."

Im HANDELSBLATT aus Düsseldorf lesen wir zu dem Skandal:

"Natürlich können die Unzulänglichkeiten der Politik nie und nimmer zur Rechtfertigung der mutmaßlichen Totenschändung in Afghanistan dienen. Aber sie müssen unbedingt in die Ursachenforschung einbezogen werden. Wenn Peter Struck einst meinte, dass deutsche Soldaten niemals wie GIs in Abu Ghraib agieren würden, so verkannte er, was Kampfeinsätze in Soldaten auslösen können. Klar: Abu Ghraib hat eine andere, eine schlimmere Qualität als der jetzt publik gewordene Vorfall in Afghanistan. Aber schlimmer ist eben der Komparativ von schlimm."

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock vertritt folgende Position:

"Solche Schweinereien, wie sie offenbar auf einer morgendlichen Patrouillenfahrt am Rande Kabuls passierten, gefährden die äußere Sicherheit der Republik. Sie sind nicht nur ein Verrat an den Grundwerten, die den Deutschen wichtig sind, sondern sie sorgen für Wut und Hass bei den Afghanen und anderswo, bringen Deutschland in Verruf. Diese Bilder sind Wasser auf die Mühlen der islamistischen Terroristen - Seht, her! So etwas bringt die westliche Freiheit mit sich!"

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG gibt zu bedenken:

"Wenn sich Politiker nun über Untaten deutscher Soldaten empören, so ist das verständlich. Sie sollen tun, was sie können, um solche Ereignisse zu verhindern. Die eigentliche Auseinandersetzung mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr aber hat noch nicht einmal begonnen: Denn Deutschland wollte helfen. Aber wir sind in einen Krieg geraten."

Und nun zum zweiten Thema dieser Presseschau: Nach monatelangem Streit hat die große Koalition die Gesundheitsreform beschlossen und drückt jetzt in der parlamentarischen Beratung aufs Tempo. Zugleich will sie die vielen Kritiker doch noch von ihrem Großprojekt überzeugen. Die Kommentatoren der deutschen Zeitungen greifen das Thema beherzt auf.

Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf meint:

"'Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie...' Der Warnhinweis, der bei jeder Arzneiwerbung gesetzlich vorgeschrieben ist, müsste nun auch dem Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform selbst aufgestempelt werden. Doch wen soll man fragen? Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich breit, denn das Herzstück der Reform, der Gesundheitsfonds, ist schlicht eine politische Missgeburt - entstanden aus der zwanghaften Liaison zweier unvereinbarer Modelle. Am Ende kam es nur noch darauf an, dass beide Koalitionspartner ihr Gesicht wahren konnten."

Auch der MANNHEIMER MORGEN geht mit der Reform hart ins Gericht:

"Kanzlerin Merkel hielt einmal mehr Wettbewerb und Freiheit für die richtigen Mittel, um das teure und häufig wenig effiziente deutsche Gesundheitssystem auf Vordermann zu bringen. Davon ist wenig geblieben, vielmehr lautet die Devise: mehr staatliche Regulierung, was ganz nach dem Geschmack von SPD-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sein dürfte, die am liebsten alles wie ein großer Zampano von oben dirigieren würde. Wenn die Gesundheitsreform, wie einst propagiert, eine Messlatte für den Erfolg der Großen Koalition sein soll, dann lässt sich nur ein Urteil finden: setzen, sechs, Klassenziel verfehlt."

Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz merkt Folgendes an:

"Am Gesundheitswesen soll die Große Koalition genesen, hat die Kanzlerin angeordnet, und das Kabinett hat gestern gespurt. Doch niemand kann wirklich zufrieden sein mit dem, was da zusammengebastelt, zusammengestrichen und zusammengeführt werden soll. Die Bürger werden ein Gesundheitswesen bekommen, das sie künftig nicht nur über ihre Beiträge, sondern auch noch zusätzlich über ihre Steuern finanzieren müssen. Sie werden eine Versorgung erhalten, die bestenfalls auf einem Niveau eingefroren bleibt, das dem heutigen entspricht."

Eine andere Ansicht vertreten die DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN:

"Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sollte fairerweise Durchsetzungsvermögen im Umgang mit beinharten Lobbyisten bescheinigt werden. Bei aller berechtigten Kritik: Die Reform leitet in vielen Teilen einen fälligen Wechsel ein. Das Recht auf Krankenversicherungsschutz, das Ende der Rosinenpickerei bei den privaten Kassen, bessere Hausarztversorgung in der Fläche - was besonders im Osten wichtig ist. Und wenn das Fondsmodell wirklich funktioniert, wissen Versicherte endlich, wie ihre Kasse wirtschaftet."