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Pressestimmen von Donnerstag, 28. Februar 2008

Beatrice Hyder28. Februar 2008

Verfassungsgerichtsurteil zu Online-Durchsuchungen

https://p.dw.com/p/DEiS

Die Karlsruher Verfassungsrichter haben gesprochen: Das Ausspähen privater Computer durch die Ermittlungsbehörden ist nur unter strengen Auflagen erlaubt. Die Privatsphäre muss in jedem Fall geschützt bleiben. Bundesinnenminister Schäuble wollte die so genannte Online-Überwachung auch in das Bundeskriminalamt-Gesetz einfügen.

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düsseldorf meint dazu fast hämisch:

"Das ist eine klare Ansage vor allem für Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Er träumt den Traum eines jeden Kontrollfreaks: Jemand gibt ein verbotenes Wort in den Computer ein, in einer Behörde geht ein rotes Warnlicht an, Polizisten schnappen den mutmaßlichen Terroristen noch am Schreibtisch. Das alles hat mehr mit Orwell als mit der Verfassung zu tun und wurde jetzt von Karlsruhe gestoppt."

Der Berliner TAGESSPIEGEL schreibt:

"Die Karlsruher Richter haben sich nicht vom Berliner Getöse beeindrucken lassen und ein zukunftsweisendes Urteil gesprochen... Es ist dem Gericht gelungen, die Balance zwischen dem Sicherheitsbedürfnis von Staat und Gesellschaft einerseits und dem Recht der Bürger auf eine vor staatlichem Zugriff geschützte Privatsphäre andererseits klug zu definieren."

Das HANDELSBLATT beleuchtet die äußeren Auswirkungen des Urteils:

"Das Grundrechte-Bollwerk in Karlsruhe hat verlorenes Vertrauen bei Millionen von Internetnutzern und bei der Wirtschaft wenigstens teilweise wiederhergestellt. Nicht nur E-Commerce und Online-Werbung leben vom Vertrauen darauf, dass die Daten der Nutzer sicher sind. International operierende Unternehmen mit Aktivitäten in Deutschland werden sicherlich beruhigt die hohen Hürden für eine Onlinedurchsuchung registriert haben."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG meint, das "Verfassungsgericht habe zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, ein neues Grundrecht erschaffen":

"Man kann es "Computer-Grundrecht" nennen. Gleichwohl lässt aber das Verfassungsgericht in seiner nicht nur juristisch, sondern auch technisch kundigen Entscheidung die staatliche Online-Durchsuchung zu - aber nur unter strengen Voraussetzungen. Sie hätten noch sehr viel strenger sein müssen."

Die KIELER NACHRICHTEN sehen das ähnlich, geben aber zu bedenken:

"Die höchsten Richter haben ein neues Grundrecht geschaffen: das Recht auf Vertraulichkeit von Computerdaten...Aber es ist bedenklich, mit welcher Selbstverständlichkeit die obersten Richter eine ureigene Aufgabe des Parlaments an sich ziehen. Dessen Aufgabe ist die Gesetzgebung, erst recht die Grund-Gesetzgebung."

Der BERLINER KURIER wird noch deutlicher:

"Wir leben in einer verkehrten Welt. Früher machten Politiker Gesetze, die Hand und Fuß hatten. Heutzutage pfeifen Verfassungsrichter Minister zurück, hauen ihnen ihre Arbeit um die Ohren. Nun muss Schäuble bei den Online-Durchsuchungen nacharbeiten."

Für die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam ist der Streit auf politischer Ebene noch nicht beendet:

"Wer nun hofft, dass diese höchstrichterliche Klärung den Gesetzesprozess im Hinblick auf Online-Durchsuchungen beschleunigt, könnte einem Irrtum erliegen. Denn schon die ersten Reaktionen auf den Richterspruch zeigen, das jede Partei aus ihm herausliest, was sie herauslesen will. Der Streit, so viel ist sicher, geht weiter."

Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg sieht das etwas anders und wagt den Blick in die Zukunft:

"Der politische Gewinner...ist Innenminister Schäuble. Weil er die heimliche Durchsuchung von Privat-Computern nur zur Vermeidung von internationalen Terroranschlägen einsetzen will, wird es ihm nicht schwer fallen, den Anforderungen des Verfassungsgerichts zu genügen. Erledigt ist das Thema damit aber nicht. Denn bald wird es Forderungen geben, das neue Instrument auch zur Strafverfolgung und für den Verfassungsschutz in Bund und Ländern einzusetzen."