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Pressestimmen von Donnerstag, 4. Mai 2006

Gerhard M Friese4. Mai 2006
https://p.dw.com/p/8MLf

Der Beschluss der Bundesregierung, die Bedingungen zum Bezug des Arbeitslosengeldes II, der Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe, zu verschärfen und die
Bestätigung von VW-Konzernchef Bernd Pischetsrieder in
seinem Amt beherrschen an diesem Donnerstag die Kommentare deutscher Tageszeitungen.

Die in Kassel erscheinende HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE
ALLGEMEINE
kritisiert den Beschluss der Bundesregierung und nimmt die Langzeitarbeitslosen gegen den Generalverdacht des Missbrauchs in Schutz:

"Unsere Politiker haben sich bisher erfolgreich gegen den
gläsernen Abgeordneten gewehrt - für Arbeitslose ist er längst Alltag. Schonungslos werden die persönlichen Lebensverhältnisse ausgeforscht - notfalls bis in die Bettritze. Kontrolle ist gut - die Koalition muss aber davor hüten, eine Schnüffelbürokratie zu errichten, die in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag und zu den - tatsächlichen oder
vermeintlichen - Verfehlungen steht. Langzeitarbeitslose
sind nicht ehrlicher, aber auch nicht unehrlicher als die übrige
Bevölkerung."

Aus dem gleichen Blickwinkel kommentiert die Berliner TAZ
das Einsparziel der Bundesregierung: "1,5 Milliarden Euro sind viel Geld. Allerdings nicht so viel wie die 5 Milliarden, die dem Fiskus jedes Jahr durch Korruption im Baubereich entgehen. Oder die 20 Milliarden, die durch Betrug und Korruption im deutschen Gesundheitswesen verloren gehen. Genauso hoch ist der Betrag, den die öffentliche Hand durch Umsatzsteuerbetrug verliert. Wer staatliche Leistungen in Anspruch nimmt, die ihm nicht zustehen, hat keinen Anspruch auf Schonung. Arbeitslose haben jedoch durchaus einen Anspruch darauf, nicht alleine unter den Generalverdacht des Betruges gestellt zu werden. Wenn Kontrollen, dann für alle."

Dagegen betont die LANDSHUTER ZEITUNG die Notwendigkeit der Einschränkungen:

"Der Sozialstaat hat nicht nur das Recht, sondern die
Pflicht, die Bedürftigkeit von Zahlungsempfängern zu
kontrollieren und notfalls Sanktionen zu verhängen... Die
gestrige Präzisierung durch das Kabinett ist kein Sozialabbau, sondern ein überfälliger Flankenschutz für den
Sozialstaat. Die schärferen Kontrollen dienen primär nicht
dazu, staatliche Sozialleistungen zu kürzen, sondern haben
das Ziel, die Mittel auf die wirklich Bedürftigen zu konzentrieren."

Als zynisch empfindet die Rostocker OSTSEE-ZEITUNG den
Beschluss:

"Vor allem in den ostdeutschen Ländern, wo auf eine offene
Stelle bis zu 40 und mehr Bewerber kommen, erweist sich die angedrohte Kürzung des Alg II als reiner Hohn. Gespannt können Leistungsbezieher etwa in Vorpommern darauf sein, welche zumutbare Arbeit ihnen von den Agenturen denn offeriert wird. Die Verschärfung der Alg-II-Kontrollen mag helfen, ein paar schwarze Schafe ausfindig zu machen...
Die Unterstellung, Alg-II-Bezieher würden per se tricksen -
und müssen demzufolge das Gegenteil beweisen, ist
unanständig."

Auch der Beschluss des Aufsichtsrats des Autobauers VW,
Konzernchef Pischetsrieder zu bestätigen, wird kontrovers
diskutiert.

So schreibt die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND:

"Der Aufsichtsrat von Volkswagen mag sich und dem Konzern die totale Blamage erspart haben, indem er sich schließlich doch zur Vertragsverlängerung für Vorstandschef Bernd Pischetsrieder durchrang. Die Art und Weise aber, wie der Beschluss zu Stande kam, ist Sartres Geschlossener Gesellschaft würdig. Pischetsrieder hat mit dem angekündigten brutalen Sanierungskurs den behäbigen
Riesen Volkswagen in ein neues Leben geschleudert. Ändert sich aber die interne Entscheidungskultur bei VW nicht, wird auch das den Konzern auf Dauer nicht aus dem Fegefeuer holen."

Die Ulmer SÜDWEST PRESSE hat da - trotz der des Widerstands auch der Gewerkschaften - keine Bedenken:

"Nach seiner Vertragsverlängerung wird Pischetsrieder nun,
trotz der Drohgebärden, rigoros den Rotstift ansetzen. Täte er es nicht, käme er seinen Aufgaben nicht nach. Und er würde die Zukunftsfähigkeit von VW aufs Spiel setzen. Denn dass die Niedersachsen ein massives Kostenproblem haben, ist hinlänglich bekannt. Dass sie es schnell lösen müssen, sagt der gesunde Menschenverstand. Und falls der nicht hilft, genügt ein Blick in die USA, wo größere Autobauer mächtig
wackeln, nur weil sie ihr Lastenheft nicht rechtzeitig
abgearbeitet haben."

Das sieht die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder ganz anders:

"Denn Pischetsrieder passt viel zu gut nach Wolfsburg: in
die Zentrale eines Unternehmens mit einem sehr besonderen
Beziehungsgeflecht. Mit einem lange Jahre überaus innigen
Verhältnis von Firmenleitung und Betriebsrat, gesetzlich
abgesicherter Einflussnahme der Politik, hohen Löhnen,
speziellen Arbeitszeitmodellen. In dieser Welt musste man
moderat wirken und gut moderieren können - also jemand wie der bestätigte Konzernlenker sein. Doch wer so ist, passt nicht mehr in das schlecht ausgelastete, teuer produzierende Wolfsburg. Kapazitäten und Kosten stammen aus alten, glücklichen Zeiten."

Zum Schluss die WESTFALENPOST aus Hagen zur Zukunft von Aufsichtsratschef Ferdinand Piech:

"Der Aufsichtsratsboss hatte Nachfolger Pischetsrieder
öffentlich in Frage gestellt und sich so bei den Aktionären - selbst in der Porsche-Familie - ins Abseits manövriert. Piechs Motive liegen im Dunkeln. Verletzte Eitelkeit wäre eine Erklärung - schließlich liegen die Wurzeln der VW-Krise in seiner Ägide als Konzernlenker. Nachdem Piech diesen Machtkampf verloren hat, dürfte sich sein Rückzug als
Aufsichtsratschef noch beschleunigen. Bei den Entscheidungen über die VW-Zukunft wird der einstige Konzern-Patriarch keine tragende Rolle mehr spielen."