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Pressestimmen von Donnerstag, 8. September 2005

Frank Gerstenberg7. September 2005

Letzte Bundestagsdebatte vor der Wahl

https://p.dw.com/p/79BN

Die letzte Bundestagssitzung vor der Neuwahl am 18. September war von dem offenen Schlagabtausch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Unions-Kandidatin Angela Merkel geprägt. Die Debatte wird in den Tageszeitungen kontrovers kommentiert:

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock analysiert das Verhalten von Koalition und Opposition in der Generaldebatte:

"Eigentlich ist alles gesagt, aber offenbar nicht von allen. Nach diesem Motto wurde die letzte Sitzung des Bundestags vor dem 18. September zur Wahlkampf-Arena umfunktioniert. Die rot-grüne Regierung führte sich stellenweise auf wie eine Opposition, die die vagen Polit-Konzepte von Union und Liberalen in schwärzesten Farben an die Wand malte. Das Problem der SPD ist, dass Angst vor der Union kein hinreichendes Argument ist, Schröder zu wählen. Union und FDP wiederum erliegen einer Illusion: Denn mit dem Schlechtreden Deutschlands und halbgaren Versprechungen haben sie die Wählermehrheit noch nicht in der Tasche."

Diesen Gedanken greift die FRANKFURTER RUNDSCHAU auf:

"Beim Finale des alten Bundestags, sonst eine Art Schnelldurchlauf durch die Wahlreden der politischen Prominenz, traten die Oppositionschefs mit neuer Selbstgewissheit auf, so als wäre die Wahl nur noch Formsache. Das hat die emotionale Polarisierung eher gefördert, die rot-grüne Gegenreaktion geradezu erzwungen. Die Zwischenbilanz: Die Opposition aus Union und FDP, die finanz- und sozialpolitisch neue Einschnitte plant und sich lange getragen fühlte von einer Stimmung des Überdrusses an Rot-Grün, sieht sich vor der Ziellinie. Aber die alte Koalition gewinnt in der Auseinandersetzung mit den Schwarz-Gelben in Siegerlaune an Profil."

Auch die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera vermisst bei beiden Kandidaten konkrete Argumente:

"´Dreist, Lüge, Quatsch, Betrug` - am Vokabular, das gestern im Bundestag gebraucht wurde, erkennt man, dass der 18. September näher rückt. Das ist die traurige Ironie des Wahlkampfes: Politik wird nicht erklärt. Den Wählern bleibt kaum anderes übrig, als an einem der beiden Enden zu ziehen. Was Gerhard Schröder von Angela Merkel unterscheidet, ist der unbedingte Durchsetzungswille. Was die Kanzlerkandidatin auszeichnet, ist der politische Charakter. Sie hat klare Vorstellungen. Die Frage ist allerdings, ob alles zusammen passt, und mit welchen sozialen Wirkungen."

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam schreibt:

"Die wechselseitigen Vorwürfe waren nicht neu und insofern kann kaum von einer Sternstunde des Parlaments gesprochen werden beim Abgesang auf die verkürzte Legislaturperiode. Kanzler Gerhard Schröders Bilanz der Regierungsarbeit fällt, wie nicht anders zu erwarten, positiv aus. Das bringt ihn aber in eine Zwickmühle, aus der kein Herauskommen ist. Denn wenn seine Reformpolitik so erfolgreich war, dass er sie ohne Abstriche weiterführen will, wenn er also auf dem richtigen Weg ist, warum hat er dann Neuwahlen erzwingen müssen und nicht genügend Unterstützung aus den eigenen Reihen erhalten?"

Für die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg lieferte die Debatte ein echtes Duell:

"Ein Kanzler, wie er gerne gewesen wäre aber nicht war, der in einem letzten Kraftakt den Geruch von Abschied und Wechselstimmung zu verscheuchen sucht; eine Kandidatin, die in selbstbewusster Hochform Skizzen einer Regierungserklärung abliefert: Dieses ´Duell` im Bundestag hat die Politik und den Parlamentarismus geziert. Und es hat die aufgemotzte Fernseh-Inszenierung vom Sonntag auf die Plätze verwiesen."

Die AACHENER ZEITUNG fragt:

"Was will die SPD, was will, was darf Gerhard Schröder? Man hätte es gerne erfahren in seiner Regierungserklärung. Was werden Schreiner, Nahles und andere denn mitmachen? Seine Reformpolitik ´ohne Abstriche` gewiss nicht. Nie oder selten hören wir den Satzbeginn ´Wir werden...` Pardon: Da sind selbst die Visionen des ´Professors aus Heidelberg` zuweilen konkreter."

Ganz anders sieht die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München die Rolle des CDU-Finanzexperten:

"Kirchhofs steuerrechtliche Totalrasur folgt dem Motto: Ungerecht gegenüber (fast) allen ist auch gerecht. Nach diesem Motto verändert er aber nicht nur das Steuerrecht, sondern das ganze Land - und zwar so, dass Dinge, die hierzulande noch gut funktionieren, künftig nicht mehr funktionieren: Kirchhofs (un)heimliche Streichliste beendet die steuerliche Förderung von kleinen Leuten und Vereinen, von caritativen Einrichtungen, von Wohlfahrtsverbänden, Kindergärten und vielen privaten Initiativen, die dem Sozialstaat viel Arbeit abnehmen. Die Union hat Schröder und Fischer damit das finale Wahlkampfthema geliefert."