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Pressestimmen von Freitag, 05. März 2004

zusammengestellt von Walter Lausch.4. März 2004

Entscheidung für Horst Köhler als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten

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Die Kür von Horst Köhler als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ist das Thema der Kommentarseiten der Freitagsausgaben der deutschen Tageszeitungen. Auffällig ist, dass die meisten Kommentatoren der Entscheidung kritisch gegenüberstehen. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München beschäftigt sich mit der Rolle der CDU-Chefin:

"Angela Merkel ist eine Machiavellistin von eher ungeschlachtem Ehrgeiz. Die Hauptrolle im 'bäurischen Machiavellismus' füllt sie gut aus. Wenn es, woran es kaum Zweifel gibt, ihr Ziel war, Schäuble zu verhindern - dann hat sie nun einen Pyrrhus-Sieg errungen: ihre eigenen Verluste sind zu hoch. Und wenn sie nun behaupten mag, sie habe ja Schäuble durchaus gewollt, aber das nicht durchsetzen können, dann hat sie das unglaublich schlecht und mutlos angepackt. In beiden Fällen treten ihre Defizite offen zu Tage - ebenso wie in der Konfrontation mit Schäuble, der sie sich nun enthoben glaubt: Schäuble ist immerhin ein Kristallisationspunkt für Meinungsbildung, Angela Merkel fällt dagegen inhaltlich wenig ein."

Für die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam sind alle bei der Entscheidung beteiligten Unionspolitiker die Verlierer:

"Wer auch immer in den kommenden Tagen, wenn sich der Pulverdampf bei der Kandidatenkür gelegt hat, im Oppositionslager zum Sieger erklärt wird - Verlierer im moralischen Sinne sind sie alle. Angela Merkel, weil sie an keiner Stelle aus der Deckung ging, geschweige denn für Wolfgang Schäuble kämpfte. Roland Koch, Friedrich Merz und Edmund Stoiber, weil bei ihnen nicht auszuschließen ist, dass sie auch dieses Ergebnis für nützlich halten. Denn nun können sie weiter durchs Land ziehen und sagen, Angela Merkel ist so schwach, dass sie nicht einmal einen so hervorragenden Kandidaten wie Schäuble gegen die FDP durchsetzen kann."

Der Kölner EXPRESS stellt sich eine Frage, die sich viele stellen:

"Horst Köhler - nie gehört, wer ist das? Das fragten sich sicher die meisten Deutschen, als die drei Präsidenten-Schacherer Merkel, Stoiber und Westerwelle endlich ihren letzten Kandidaten aus dem Hut gezaubert hatten. Vorhang zu beim Präsidentenstadl? Schwamm drüber über das peinliche Trauerspiel? Nein. In diesem Land müssen wir dringend über die politische Kultur reden, die regelrecht auf den Hund gekommen ist. Es ist unerträglich, dass es bei der Präsidentenkür zugehen konnte wie an einem Wühltisch, in dem die Strippenzieher wie wild rumgrabbelten und achtlos jeden aussortierten, der nicht in den Klüngel-Kram passte."

Die Münchener TZ meint, dass sich die Opposition der Regierung angepasst hat:

"Dilettantisch, stümperhaft und peinlich. Nein, die Rede ist diesmal nicht von Rot-Grün und deren Reform-Gewürge. Die letzten drei Tage haben uns Union und Liberale vorgeführt, wie man bei ihnen den Prozess einer Meinungsbildung angeht. Was Angela Merkel, Edmund Stoiber und Guido Westerwelle miteinander angestellt haben, um einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu finden, war nicht gerade eine Empfehlung für eine künftige schwarz-gelbe Regierung."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU beschäftigt sich mit der Funktion des Präsidenten:

"Der Bundespräsident oder die Präsidentin soll nicht nur, er/sie muss versuchen, die Sorgen dieses so zunehmend an seinen Politikern zweifelnden Volkes aufzugreifen, auszusprechen und sie insofern auch zu verkörpern. Gerade da liefern die Köhler-Erfinder jetzt ein neues Modell fürs Amtsverständnis: Der nächste Präsident soll einer sein, der das Volk auf Veränderungen einstimmt. Er soll die Reform - sprich: Verzichtsbereitschaft der Bürger - fordern und fördern, diese also weniger vertreten als ihnen gegenübertreten."

Eine der wenigen Zeitungen, die die Entscheidung für Horst Köhler begrüßen, ist das Düsseldorfer HANDELSBLATT:

"Köhler ist eine Notlösung, die sich allerdings am Ende durchaus als Glücksfall erweisen könnte. Was Parteipolitiker auf ihrer Ochsentour vom Ortsverein zum Bundesvorstand nicht lernen, bringt der Mann aus Washington ganz selbstverständlich mit: ein weltläufiges Verständnis von ökonomischen Zusammenhängen. Köhler ist daher durchaus befähigt, den Deutschen die Globalisierung näher zu bringen, die Nabelschau zu beenden und die Notwendigkeit von Sozialreformen zu erklären."