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Pressestimmen von Freitag, 10. März 2006

Thomas Grimmer9. März 2006

Iran / Kaczynski-Besuch

https://p.dw.com/p/85tI

Nach der Überweisung des Konflikts um das iranische Nuklearprogramm an den UN-Sicherheitsrat hat Präsident Mahmud Ahmadinedschad das Recht seines Landes auf die Nutzung der Atomenergie erneut bekräftigt. Die Kommentare der deutschen Tagespresse beschäftigen sich mit der Frage, wie Teheran auf den zunehmenden Druck des Westens reagieren wird. Beachtung fand außerdem der Antrittsbesuch des neuen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski in Deutschland.

Zunächst zum Atomstreit mit dem Iran. Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf glaubt nicht, dass es im Sicherheitsrat zu einer Lösung kommt:

"Die Gründe für das absehbare Scheitern sind vielfältig, reduzieren sich im Kern aber auf drei Aspekte: 1. Es gibt im Sicherheitsrat keinen Konsens über die tatsächliche Gefährlichkeit des iranischen Atomprogramms. 2. Die amerikanische Glaubwürdigkeit hat seit dem Irak-Krieg massiv gelitten. 3. Es gibt praktisch keine tragfähigen Optionen, den Lauf der Dinge zu stoppen. (...) Russland und China mögen zwar durchaus erkennen, dass dies eines Tages der Fall sein

kann. Doch sie sind nicht bereit, dieser für sie theoretischen

Option strategische und ökonomische Interessen zu opfern."

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder ist ähnlicher Ansicht:

"Über Sanktionen können die Mullahs nur müde lächeln; diese würden vor allem den Westen treffen. Deshalb fordern jetzt nicht einmal die USA unverzügliche Strafmaßnahmen. Von Russland und China ganz zu schweigen. Beide sind ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, ausgestattet mit einem Vetorecht und mit massiven wirtschaftlichen Interessen im Iran. (...) Wenn eine diplomatische Lösung gescheitert ist, Sanktionen nicht zustande kommen, wird wieder eine Militäroption verstärkt in das Blickfeld rücken."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER warnt vor Uneinigkeit der Mitglieder im UN-Sicherheitsrat bezüglich des iranischen Atomprogramms:

"Gezielte Zwangsmaßnahmen - ausgerichtet auf die politisch-religiöse Führung und die Vertreter der Nuklearforschung - könnten das Regime unter Druck setzen, ohne den Iranern zu schaden. Der Katalog reicht von Reisebeschränkungen über das Einfrieren der persönlichen Bankkonten iranischer Spitzenpolitiker bis hin zu Wirtschaftssanktionen gegen die Öl- und Nuklearbranche. Russland und China sollten aus dem jüngsten Irak-Krieg gelernt haben, dass eine Blockade im UN-Sicherheitsrat die USA seit dem 11. September 2001 nicht von einseitigen Schritten abhalten wird. Im Gegenteil, das könnte einseitige Entscheidungen provozieren."

Der Kommentator des BADISCHEN TAGBLATTS aus Baden-Baden meint zur Position Teherans:

"In einem Punkt sind die Argumente des Irans nachvollziehbar: Warum sollte es anderen Ländern außer den berechtigten fünf USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China gestattet sein, über Atomwaffen zu verfügen? Warum lässt man Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea gewähren? Die Lage zwischen Indien und Pakistan ist so beruhigend nicht, als dass man dort die Atomwaffen in guten Händen wüsste. Im Sicherheitsrat muss deshalb auch darüber gesprochen werden, welchen Sinn der Atomwaffensperrvertrag noch hat."

Themenwechsel. Schwule und lesbische Demonstranten stürmten während einer Rede des polnischen Staatschefs Lech Kaczynski an der Berliner Humboldt-Universität den Hörsaal, um gegen die Aversion des Staatschefs gegenüber Homosexuellen zu protestieren. Der zweitägige Antrittsbesuch Kaczynskis in Deutschland stößt in den Kommentarspalten der deutschen Tageszeitungen auf ein geteiltes Echo.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt:

"Der von Schwulen und Lesben herbeigeführte Eklat hat drastisch vor Augen geführt, was Kaczynski in seiner Rede nur andeutete: Aller oberflächlichen Verwestlichung und Nivellierung im größeren Europa zum Trotz leben die EU-Bürger/West noch immer in einer anderen Welt als die EU-Bürger/Ost."

Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg übt schärfere Kritik:

"Polens Präsident Lech Kaczynski hält Lesben und Schwule für eine Bedrohung des Abendlandes. Sie gefährdeten die europäische Zivilisation, weil sie nicht für Kindersegen sorgten. Man könnte sich totlachen, wenn solch ein Gerede nicht eine schlimme Haltung gegenüber Minderheiten offenbaren würde. Kaczynski sortiert Menschen unter dem Aspekt der Fortpflanzung nach Gut und Böse. Oder vielleicht

gar nach Nützlichkeit und Schädlichkeit? Sage mir, wie du mit

Minderheiten umgehst, und ich sage dir, was für ein Demokrat du bist."

Der Kommentator der AUGSBURGER ALLGEMEINEN meint abwiegelnd:

"Gott sei Dank sind die deutsch-polnischen Beziehungen im Alltag weitaus besser, als die Reden des Warschauer Präsidenten bei seinem Staatsbesuch vermuten lassen. Und die Äußerungen Kaczynskis wie etwa die Ausfälle gegen Homosexuelle richteten sich wohl weniger an seine

Gastgeber - wenn man von der Kritik an der deutsch-russischen Ostsee-Pipeline absieht - als an die eigene politische Kundschaft. Für die deutsche Seite sollte diese Staatsvisite indessen nur Ansporn sein, die Versöhnung mit Polen weiter voranzutreiben. Schon jetzt ist Warschau - egal, was Kaczynski sagt - einer der wichtigsten Partner Berlins. Und die Kooperation kann und muss noch enger werden."

Vergleichsweise zuversichtlich blickt DIE WELT aus Berlin auf das deutsch-polnische Verhältnis unter dem neuen Präsidenten Kaczynski:

"Nach den deutsch-polnischen Flitterwochen in den neunziger Jahren und den Mißklängen der jüngsten Vergangenheit sind Warschau und Berlin in ihren Erwartungen an die jeweils andere Seite bescheiden geworden. Die Wahl des nicht gerade als deutschfreundlich geltenden polnischen Präsidenten Lech Kaczynski hat diese Genügsamkeit

verstärkt. Auch wenn es keiner der deutschen Politiker offen

zugeben würde, so ist der Argwohn gegen den zum Populismus und zum Schnellschuß neigenden Kaczynski groß. (...) Wer Kaczynski im kalten Berlin beobachtete, nahm erstaunt zur Kenntnis, wie der Präsident auftaute und am Ende fast warmherzig mit seinen Gesprächspartnern umging. Damit freilich sind die Differenzen (...) nicht beseitigt, doch immerhin ist ein Mindestmaß an Vertrauen wiederhergestellt. Um das deutsch-polnische Verhältnis steht es nach dem Besuch Kaczynskis besser.'