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Pressestimmen von Freitag, 12. August 2005

Annamaria Sigrist11. August 2005

Edmund Stoibers Äußerungen zu Ostdeutschland

https://p.dw.com/p/72Kc

Die Kommentare der deutschen Tageszeitungen befassen sich an diesem Freitag überwiegend mit den umstrittenen Äußerungen von Bayerns Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber. Er hatte bei zwei unterschiedlichen Wahlveranstaltungen gesagt, er akzeptiere nicht, dass der Osten bestimme, wer in Deutschland Kanzler werde. Die Frustrierten dürften nicht wieder über das Schicksal Deutschlands bestimmen. Seine Aussagen stießen nicht nur bei den politischen Parteien auf Kritik.

So schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

"Wer aber so selbstgefällig daherredet wie der CSU-Chef, wird bei den Ostdeutschen nur zweierlei erreichen: Diejenigen, die schon immer gewusst haben wollen, wie arrogant der Westen ist, sehen sich selbstmitleidig bestätigt in ihrer Opferrolle. Und jene, die Stoiber wohl wirklich gar nicht meinte, fühlen sich dennoch gemeint. Das Ergebnis könnte eine Ironie der Geschichte sein. Wenn die Protestwähler im Osten wirklich ein schwarz-gelbes Bündnis verhindern würden, wäre das genau jener Sieg der Frustrierten, den Stoiber fürchtet - und den er selbst herbeigeredet hätte."

Die KIELER NACHRICHTEN schreiben:

"Stoibers unglückselige Äußerungen waren kein rhetorischer Ausrutscher, sonst hätte er sie nicht eine Woche später bekräftigt. Man muss sogar befürchten, dass sich der CSU-Chef etwas dabei gedacht hat. Ob gewollt oder nicht, Stoiber bestärkt all diejenigen im Westen, die glauben, dass die Mitbürger im Osten seit 15 Jahren durchgefüttert werden, ohne sich wenigstens dafür zu bedanken. Politiker, die dieses Vorurteil bedienen, mögen Wähler im Westen gewinnen. Ob sie nicht gleichzeitig mehr Stimmen im Osten verlieren, sei einmal dahingestellt."

Die BERLINER ZEITUNG versucht Stoibers Aussagen psychologisch zu erklären:

"Stoiber ist selber frustriert, weil ihn weder der Norden noch der Westen mag, schon gar nicht der Osten, weil er deshalb nicht Kanzler werden kann und weil ausgerechnet eine nicht-katholische Ostfrau ihm den Job wegschnappt. Da mag in schwach kontrollierten Momenten aus den Tiefen der männlichen Psychologie einiges aufkommen - und den politischen Verstand überwallen: Wenn die Frau sich schon vorgedrängt hat, dann soll sie keinesfalls stark sein dürfen."

Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth fragt:

"War es der Ausrutscher eines übermotivierten Wahlkämpfers oder doch die kalkulierte Provokation? Die Antwort auf die Frage kann nur Edmund Stoiber selbst geben. ... Dass ausgerechnet Stoiber zum Wahlhelfer der neuen Linkspartei mutieren würde, haben sich Oskar Lafontaine und Gregor Gysi wohl nicht in ihren kühnsten Träumen vorstellen können."

In der OFFENBACH-POST heißt es:

"Wer sich so aufführt wie der bayerische Ministerpräsident, wer der Kandidatin wo er nur kann Schwierigkeiten bereitet, der empfiehlt sich weder als Mitglied im Kompetenzteam noch als Superminister in einem möglichen Merkel-Kabinett."

Die HEILBRONNER STIMME findet:

"Die CDU sollte Edmund Stoiber in Sicherheitsverwahrung nehmen. Der Bayer, der an maßloser Selbstüberschätzung leidet, wird zum größten Risiko für Angela Merkels Kanzlerambitionen. Erst stößt er die 'frustrierten' Ostdeutschen vor den Kopf, dann bescheinigt der Münchner Polit-Fürst dem Rest der Republik ein Intelligenz-Defizit. Legt es der CSU-Vorsitzende mit aller Macht darauf an, dass Merkel jene Messlatte möglichst weit genug verfehlt, die sein Generalsekretär Tags zuvor auf 45 Prozent hoch gelegt hat?"

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder sieht die Linkspartei gestärkt:

"Die Linkspartei kann jubeln. Besser kann Wahlhilfe nicht laufen. Erst verprellt Brandenburgs Innenminister Schönbohm viele Menschen mit DDR-Lebenslauf. Nun sorgt Bayerns Ministerpräsident Stoiber für den nächsten Rohrkrepierer. Nur 24 Stunden, nachdem CDU/CSU erklärten, in den neuen Ländern die stärkste Kraft werden zu wollen, ist dieses Ziel reif für den Papierkorb. ... Stoibers Worte offenbaren: Keine Ahnung vom Osten, keine Achtung vor den Biographien der hier (in Ostdeutschland) Lebenden und viel schlimmer kein politisches Angebot für die Zukunft."

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE ruft abschließend die Ostdeutschen zur Besonnenheit auf:

"Die Ostdeutschen sollten auf solche Ausfälle so reagieren, wie sie sich selbst gerne sehen: Gelassen und selbstbewusst. Sie allein entscheiden, ob sie die Äußerungen der beiden Unionspolitiker für einen entschuldbaren Fehlgriff halten oder ihnen am 18. September die Meinung sagen - ganz unaufgeregt."