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Pressestimmen von Freitag, 12. Januar 2007

Gerhard M Friese11. Januar 2007

Debatte um Ausstieg aus dem Atomausstieg / Kanzlerin Merkel kritisiert Russland

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Die Stilllegung einer wichtigen Ölpipeline von Russland nach Westeuropa hat in Deutschland die Debatte über den Ausstieg aus dem von der vorherigen Bundesregierung beschlossenen Atomausstieg wider aufleben lassen. Dies und die harsche Kritik von Bundeskanzlerin Merkel an Russland sind an diesem Mittwoch die beherrschenden Themen der Kommentare deutscher Tageszeitungen.

Der Berliner TAGESSPIEGEL warnt vor einer leichtsinnigen Preisgabe der Option Atomenergie:

"Selbstverständlich muss über eine längere Nutzung der Kernenergie offen geredet werden. Zumindest ist die Festlegung von und das Festhalten an Ausstiegsterminen fahrlässig, solange nicht klar ist, was stattdessen wann und in welcher Menge kommt - ohne dass neue Abhängigkeiten geschaffen werden. Mit dem Ausschalten der Stand-by-Funktionen und der besseren Isolierung unserer Häuser kann man viel sparen - als Lösung unserer Energieprobleme sollten wir uns das aber nicht länger vorgaukeln."

Dagegen hält die Münchener ABENDZEITUNG:

"Zuerst den Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg zu fordern, das muss man als Panikattacke verstehen... Die Forderung nach mehr Atom soll die unerquickliche Abhängigkeit vergessen machen, in die sich die Bundesrepublik begeben hat. Die wäre heute weniger schlimm, wenn diejenigen, die jetzt nach Atom rufen, nicht Jahrzehnte erneuerbare Energien torpediert hätten, wo sie konnten."

Der MANNHEIMER MORGEN meint:

"Wer jetzt am Atomausstieg rüttelt, der geht den bequemen Weg und zementiert die bestehenden Strukturen, statt den dringend notwendigen Strukturwandel im Energiebereich zu befördern. Eine kurzfristige Laufzeitverlängerung moderner Akw mag im Einzelfall sinnvoll sein, doch ohne den Druck der Politik auf die Wissenschaft wie die Energiekonzerne, bis 2019 marktfähige Alternativen zu entwickeln, würde sich kaum etwas verändern."

Das in Baden-Baden erscheinende BADISCHE TAGBLATT kommentiert:

"Was für ein Schmierentheater, welch dreiste Scheinargumente... . Die Atomdebatte ist ... eine gefährliche Zeitverschwendung, weil sie den Blick auf das tatsächliche Problem verstellt. Es geht ums Öl, aber nicht nur ums russische. Deutschland braucht eine Strategie, um sich von selbigem wie von allen fossilen Energien ebenso unabhängig zu machen wie von der Risikotechnologie Atomkraft. Denn es mache sich niemand etwas vor: Das Öl wird im 21. Jahrhundert zur Neige gehen. Wer das in Abrede stellt, ist ein Dummkopf."

Und im MAIN-ECHO aus Aschaffenburg lesen wir:

"So einfach es sich die Anhänger des Atom-Stroms machen, so einfach ist es nicht. Auch Uran ist endlich, auch Uran muss zu 100 Prozent importiert werden, und selbst wenn die reine Strom-Produktion frei von Kohlendioxid-Emissionen ist, so ist bis heute das Problem des mehrere 10 000 Jahre strahlenden Atommülls weltweit ungelöst... ."

Der Lieferstopp für russisches Öl nach Westeuropa hat zu einer Verstimmung zwischen der Europäischen Union und Russland geführt. Bundeskanzlerin Merkel warf Russland vor, mit dem nicht abgesprochenen Vorgehen Vertrauen verspielt zu haben.

Das Düsseldorfer HANDELSBLATT merkt dazu an:

"Endlich! Ein wenig wie ein Befreiungsschlag aus dem Zangengriff von Vorgänger Gerhard Schröder klingen die neuen Töne von Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Adresse des Kremls. Vorbei sind offenbar die Zeiten, in denen Wladimir Putin zum lupenreinen Demokraten geadelt wurde, ohne dass er sich um einen rechtsstaatlichen Wandel in seiner Heimat verdient gemacht hätte. Merkels Kritik am unabgesprochenen Vorgehen Moskaus, dem Drehen am Ölhahn, ist angebrachter. Denn so wie Weißrussland im aktuellen Ölstreit behandelt man weder Nachbarn noch die EU."

Die KIELER NACHRICHTEN schreiben:

"Merkels Vorwürfe gewinnen dadurch Gewicht, dass sie einerseits als Ratspräsidentin für die EU spricht, also für Russlands wichtigsten Abnehmer von Öl und Gas, und andererseits als Vorsitzende der G 8, also jenes Clubs der wichtigsten Industrienationen, zu denen Moskau dauerhaft gehören möchte. Dies ist offensichtlich die Sprache, die Putin versteht. Jedenfalls reagierte er umgehend, indem er seine Regierung anwies, den Konflikt zu lösen. Es wurde Zeit, Moskau in aller Deutlichkeit zu signalisieren, dass der Preis für eine Annäherung an Europa wirtschaftliche und politische Verlässlichkeit sind."

Die Ulmer SÜDWEST PRESSE mahnt:

"So wie Putin heute Weißrussland und seinen unbotmäßigen Präsidenten abstraft, so würde er eines Tages auch versuchen, uns mit Energieentzug zu erpressen, wenn ihm die Richtung nicht passt. Deshalb kann es nur eine Devise geben: Die Abhängigkeit von diesem unsicheren Kantonisten muss so gering wie möglich bleiben. Auch die Abhängigkeit von Uranimporten und von einer funktionierenden Endlagerung des Atommülls ist nicht unproblematischer, als die vom Öl oder Gas."

In der WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE aus Essen heißt es:

"Dass ausgerechnet der weißrussische Diktator Lukaschenko Europas Regierungschefs wachrüttelt und zu einem Umdenken in der Energiepolitik geradezu auffordert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Dies ist gewissermaßen die gute Seite des gefährlichen Kampfes um die weltweit knappen Rohstoffe. Der neue Öl-Schock hat also auch eine therapeutische Funktion. Er zeigt die Verwundbarkeit der westlichen Industriewelt auf, die nun gefragt ist, jenseits von eilig einberufenen Krisentreffen, ihre Kreativität unter Beweis zu stellen."