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Pressestimmen von Freitag, 12. Mai 2006

Walter Lausch11. Mai 2006

Regierungserklärung zur Europapolitik/Mehr Steuereinnahmen in Deutschland

https://p.dw.com/p/8Sep

Zwei Themen beschäftigen die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen besonders, die Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel zur Europapolitik und das positive Ergebnis der jüngsten Steuerschätzung. Im Bundestag hat sich die Bundeskanzlerin für eine Vertiefung der Europäischen Union ausgesprochen. Dieser Ansatz wird von vielen Kommentatoren gelobt, aber es gibt auch kritische Anmerkungen.

Die ESSLINGER ZEITUNG schreibt:

"Mit ihrer europapolitischen Rede hat sich Kanzlerin Merkel als Vorkämpferin für die deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 positioniert. Doch mit Lösungsvorschlägen hält auch sie sich noch bedeckt. Bürokratie soll abgebaut werden, mehr Bürgernähe soll entstehen. In der Tat: Die Menschen in Europa warten darauf. Sie sind an spürbaren Verbesserungen, die ihr persönliches Leben betreffen, mehr interessiert als an Endlosdebatten über Institutionen und Kompetenzrangeleien."

Für das Düsseldorfer HANDELSBLATT müsste die Kanzlerin aktiver werden:

"Das Manko der Rede Merkels liegt darin, dass sie mehr verschämt darauf hingewiesen hat, dass auch in Zukunft weitere Integrations- und Erweiterungsschritte nötig sein werden. Aber vielleicht passt dies zur gegenwärtigen Stimmung: Auch in der Europapolitik hat sich die Bundesregierung zwar keine Denk-, aber eine Ambitionspause verpasst. Bei der Frage, wie sich der EU-Verfassungstext retten lässt, herrscht gar Ratlosigkeit. Man setzt allein auf das Prinzip Hoffnung und darauf, dass 2007 die Stimmung der Bürger etwa in Frankreich hoffentlich wieder europafreundlicher ist."

Auch die WELT aus Berlin vermisst eine offensive Haltung:

"Wer wie Merkel eine EU-Verfassung will, verändert vielleicht und klarer fokussiert, der muß aufstehen und angreifen - jetzt. Denn der EU fehlt es an Grenzen und Zielen zugleich. All der überflüssige Regelungsunfug, nicht nur aus Brüssel, läßt die Bürger fürchten, inzwischen sei der Schaden größer als der Nutzen. Daran läßt sich im kleinen und Kleingedruckten arbeiten, auch ohne Verfassung. Und irgendwann, nach vielen kleinen Schritten, wäre das Nützliche vom Widersinnigen getrennt. Aber das wird nicht reichen, Nationalstaaten besitzen ein nicht verhandelbares Selbst, das sie rechtfertigt. Sie werden sich niemals in Europa auflösen wie der Zucker im Tee."

Der Berliner TAGESSPIEGEL sieht es sportlich:

"Für Angela Merkel hat die Europameisterschaft begonnen. Dass sie den Pokal am Ende in den Händen halten könnte, liegt aber offen gesagt nur daran, dass sie die einzige Spielerin ist, die sich am Anstoßpunkt eingefunden hat. Die anderen großen Mannschaften - Frankreich, Polen, Italien, Großbritannien - bestehen nur noch aus Auswechselspielern. Allen anderen sind europapolitisch derzeit die Hände gebunden - nur Merkel nicht, die zudem im kommenden Jahr auch die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Ihr steht also das gesamte Spielfeld zur Verfügung. 'Uns sind die Hände gebunden', sagte Angela Merkel gestern in ihrer Regierungserklärung, als ob auch sie sich in diesem europäischen Machtvakuum befände. Und auch die 'Neubegründung' Europas, von der sie sprach, wollte sie selbst nicht liefern. Merkel hat die Herausforderung, vor der die EU steht, offenbar erkannt; sie hat sie leider nicht angenommen."

Der Bundesfinanzminister kann 2006 und in den nächsten Jahren höhere Steuereinnahmen erwarten. Dies ergab die jüngste Steuerschätzung. Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND aus Hamburg schreibt zu diesem Thema:

"Die Steuerschätzungen der vergangenen Jahre waren ein Ritual des Grauens. Diesmal ist das anders und außer einem vorhergesagten Plus von 8,1 Milliarden Euro in 2006 bekommen die Finanzminister noch eine Erkenntnis gratis dazu: Steuereinnahmen haben mit Wirtschaftswachstum zu tun. Wächst das Bruttoinlandsprodukt, schwillt auch der Geldstrom in die öffentlichen Etats an. Aufgabe der Wirtschaftspolitik wäre es jetzt, dem Aufschwung freie Bahn zu geben. Die gerade verabschiedete Steuererhöhungsorgie bewirkt leider das Gegenteil."

Das OFFENBURGER TAGEBLATT wundert sich:

"Das war Rot-Grün in sieben Jahren Regierungsverantwortung nicht vergönnt. Stets verschlechterten sich die Wachstums- und Steuerschätzungen über das Jahr hinweg, und der Finanzminister stolperte von einem neuen Loch ins nächste. Jetzt plötzlich, ohne dass die große Koalition auch nur einen Baum ausgerissen hätte, ändert Gevatter Trend die Richtung. Drei Prozent mehr Steuereinnahmen einfach so, das würden wir über unser Nettojahreseinkommen auch gerne sagen können."

Nach Ansicht der Mainzer ALLGEMEINEN ZEITUNG darf das Ergebnis der Steuerschätzung nicht überbewertet werden:

"Deutlich höhere Steuereinnahmen, der Export boomt, daraus resultierend steil steigende Investitionen und das Schönste: auch der Bürger konsumiert endlich wieder messbar mehr. Endlich alles in Ordnung in Deutschland? Leider nein! Denn was von den Steuerschätzern auf den Tisch des Hauses gelegt wurde, ist zwar eindrucksvoll, doch zum großen Teil längst vom Finanzminister verplant. Das bedeutet, es keinerlei Hoffnung, dass die geplante Mehrwertsteueranhebung doch noch geringer ausfallen könnte als von der Großen Koalition beschlossen. Vergleicht man Deutschland allein nur mit den europäischen Nachbarn, so ist das Prädikat Mittelfeld schon geschmeichelt. Fazit: Gestern war zwar ein guter Tag für Deutschland, aber das reicht eben nicht."

Abschließend die Meinung der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU:

"Trotz des unverhofften Milliardensegens hat Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) wohl kaum eine Wahl: Er muss tiefstapeln, die Zusatzeinnahmen kleinreden und alle Stimmen aus der Opposition abbügeln, die die saftige Mehrwertsteuer-Erhöhung zum Beginn nächsten Jahres noch einmal überdenken wollen. Schwarz-Rot kann nicht anders, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt: Zu viele Haushaltsrisiken gibt es. Ganz unabhängig davon wäre es auch taktisch unklug, wenn der oberste Kassenwart schon jetzt Gesprächsbereitschaft über den einen oder anderen Mehrwertsteuerpunkt signalisieren würde. Denn so würden dem Handel die schönen Geschäfte zum Teil durch die Lappen gehen, die die Verbraucher wegen der Mehrwertsteuer-Erhöhung in 2007 jetzt vorziehen."