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Pressestimmen von Freitag, 12. September 2003

12. September 2003

Attentat auf schwedische Außenministerin

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Die deutschen Tageszeitungen befassen sich an diesem Freitag fast ausschließlich mit dem Attentat auf die schwedische Außenministerin Anna Lindh.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG geht dabei auf den Beschluss ein, daß Referendum Schwedens über den Euro-Beitritt am Sonntag statt finden zu lassen:

'Der Tod Anna Lindhs lässt sich vom Thema «Europa» nicht mehr trennen. Nicht nur, weil die Außenministerin die überzeugendste Figur in der Euro-Kampagne der Regierung gegeben hatte und vielleicht aus diesem Grund Opfer eines Mordanschlags wurde. Auch deshalb, weil jene verhängnisvolle Idylle der schwedisch-skandinavischen Besonderheit immer auch als Gegenwelt zum europäischen Kontinent stilisiert wurde. Den Termin für das Euro- Referendum zu verschieben hätte geheißen, davor zu kapitulieren.'

Die Zeitung DIE WELT schreibt dazu:

'Egal was der Täter wollte, dieser Mord wirkt wie ein politischer Mord. Er wirft einen Schatten, in dem die währungspolitische Abstimmung am Sonntag wie eine Entscheidung über Schuld und Schicksal einer Nation wirkt. Daher zeugt es von Mut und Vertrauen in die Demokratie, dass alle schwedischen Parteien das Referendum wie geplant durchführen wollen. Demokratie triumphiert über Mord. Sie bezahlt dafür den Preis, dass am Sonntag auf jedem Wähler ein ungeheurer Druck lasten wird. Kann man da noch ruhig abwägen, ob man besser die Krone behält oder aber sich in die europäische Währung integriert?, fragt der Kommentator der WELT.

Andere Zeitungen gehen auf den Aspekt der Sicherheit in demokratischen Gesellschaften ein.

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN schreiben:

'Die Sicherheit gefährdeter Personen ist auf der politischen Agenda ganz nach oben gerückt. Ministerpräsident Göran Persson nannte das Attentat einen "Angriff auf die Toleranzgesellschaft", doch Toleranz erfordert gegenseitigen Respekt. Der verhärtete Ton der politischen Debatte, gerade auch in der jüngsten Euro-Kampagne, hat zum Abbau dieses Respekts beigetragen. Am Tag nach dem Mord erkennen die Schweden die Grenzen des unbeschwerten Daseins. Doch sie erkennen auch, dass das, was sie verbindet, viel mehr ist als das Trennende, dass es Werte gibt, auf die sie nicht verzichten wollen.'

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU stellt fest:

'Der Mord an Anna Lindh konnte, wie einst jener an Olof Palme, in dieser Form wohl nur in Skandinavien geschehen. Wo sonst geht ein Premier zu Fuß ins Kino oder eine Außenministerin ungeschützt einkaufen? Wer den Schweden Naivität vorwirft, macht es sich leicht. Dass Wähler und Gewählte ein vergleichbares Leben leben, ist eine der Stärken des skandinavischen Gesellschaftsmodells und ein Grund für dessen demokratische Verwurzelung. Am Ende einer Wahlkampagne war der mangelnde Schutz der Außenministerin wohl unverzeihlicher Leichtsinn. Doch die Aufgabe der Toleranzgesellschaft zu Gunsten rigiden Sicherheitsdenkens wäre eine Verkennung dessen, wofür Anna Lindh in ihrer Karriere gestanden hat.'

Der Kommentator des Düsseldorfer HANDELSBLATTS dagegen meint:

'Schweden lebt immer noch mit dem Mythos vom idyllischen Bullerbü im Großformat, wollte aus dem Mord an Olof Palme keine Konsequenzen ziehen. Doch der Begriff der offenen Gesellschaft muss klarer definiert werden: Der Einkaufsbummel von Spitzenpolitikern ohne Personenschutz ist kein Zeichen von Offenheit, sondern von Naivität. Ein Staat muss seine Politiker in Zeiten der Polarisierung und Zuspitzung schützen, damit der demokratische Prozess nicht von einem Attentäter beeinflusst werden kann. Denn dies und nicht Personenschutz gefährdet die offene Gesellschaft.'

Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG kommt zu folgendem Schluß:

'Der Anschlag wird das geschockte Land verändern und zu einem neuen Sicherheitsdenken führen. Möglicherweise wird der Tod Anna Lindhs das Stimmverhalten der Schweden in Richtung Euro beeinflussen. Klar ist jedenfalls, dass es eine kluge Entscheidung der schwedischen Regierung war, das Referendum nicht abzusagen. Die Demokratie darf vor Attentätern nicht in die Knie gehen', so die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG, mit der wir diese Presseschau beenden.

Zusammengestellt wurde sie von Eleonore Uhlich.